Der Fluch der bösen Tat
Hausschlüssel in der einen und einer braunen Aktentasche in der anderen Hand zur Haustür. Er hatte einen leicht krummen Rücken und schlurfte ein wenig mit den Füßen. Er schloß die Tür auf. Der Kellner kam heraus und leerte den Aschenbecher. Vuk bestellte noch ein Bier. Kurz darauf kam der Mann von eben aus dem Haus, überquerte die Straße und ging auf die Kneipe zu. Er ging direkt an Vuk vorbei und durch die offenstehende Tür.
»Tag, Ole«, sagte der Kellner, der Vuk das neue Bier hinstellte. Er war jünger und hatte einen muskulösen Oberkörper, der im Vergleich zu den kurzen Beinen zu groß wirkte. Ein Körper aus dem Fitneßcenter, dachte Vuk. Er sah stark aus, aber wenn es darauf ankam, fehlte ihm bestimmt die Zähigkeit. Vor einem Bodybuilder würde er nie Angst haben.
»Tag, Mads«, sagte der Mann, ohne sich aufhalten zu lassen. »Ich möchte ein Gedeck.«
»Erna ist drin.«
Vuk nahm einen Schluck von seinem Bier.
»Wollen Sie nicht reingehen? Es wird langsam kalt«, sagte der Kellner.
»Nein, danke. Ich trink hier draußen aus«, sagte Vuk.
»Na, gut.«
Er ließ noch eine Viertelstunde verstreichen. Dann meinte er, nicht länger bleiben zu dürfen. Er stand auf und ergriff die Tragetasche, als er Lise Carlsen heranradeln sah. Sie stellte ihr Rad hin und schloß es ab. Lise blickte auf das Auto des Mannes und zur Kneipe herüber und dann zu ihrer Wohnung im dritten Stock. Vuk drehte den Kopf weg und rief in die Dunkelheit des Lokals: »Darf ich zahlen bitte?«
»Ja, gern«, hörte er den Muskelmann sagen.
Er kam heraus.
»38 Kronen«, sagte er und bemerkte Lise auf der anderen Straßenseite. Er nahm Vuks Hundert-Kronen-Schein entgegen, ließ Lise aber nicht aus den Augen.
»Eine Sekunde«, sagte er und machte einen Schritt auf die Fahrbahn.
»Lise!« rief er. »Lise! Ole ist hier!«
Lise schaute herüber. Vuk wandte sein Gesicht ab, behielt sie aber aus dem Augenwinkel im Blick.
»In Ordnung, Mads. Sag einfach, ich bin nach Hause gekommen.«
»Alles klar, Lise«, sagte Mads und gab Vuk das Wechselgeld heraus.
Vuk mußte an die Szene denken, als er später in seinem Zimmer saß und fernsah. Das Fernsehen war nur ein angenehmes Hintergrundgeräusch. Es lief irgendeine dänische Talkshow, an der nur sehr gut gekleidete und sehr gesprächige Frauen teilnahmen. Er hatte es aufgegeben, das Thema ihres Geredes herauszukriegen, und hatte leiser gedreht. Er arbeitete.
Er schnitt die Holzgriffe von dem Springseil und zog statt dessen einen halben Meter des dünnen, biegsamen Stahldrahts durch sie hindurch. Er befestigte ihn an jeder Seite mit einem Knoten und kniff dann die Enden zusammen. Um ein Rohr im Badezimmer wickelte er ein Handtuch, schlang dann mit schneller Bewegung den Stahldraht herum und zog heftig an beiden Holzgriffen. Der Draht gab nach, aber die Knoten hielten, und zufrieden legte er die Garotte auf sein Nachttischchen.
Er sah ein paar Stunden fern, aber er dachte an Lise und ihren Mann Ole. Während er überlegte, wie er mit ihr in Kontakt treten könnte, schliff er die stumpfe Seite des Fahrtenmessers scharf, so daß er einen zweischneidigen Dolch erhielt. Dabei machte er langsame, ruhige, effektive Bewegungen, die besänftigend wirkten und förderlich für das Denkvermögen waren. Die beiden Messerschneiden waren nun scharf wie Rasierklingen. Es war guter Solingen-Stahl, der nicht so leicht zu brechen war. Jetzt war er nicht mehr ganz und gar unbewaffnet, und das machte ihn einen Tick ruhiger. Frühestens morgen oder übermorgen dürfte er die Postkarte von Krawtschow mit der Mitteilung erhalten, wo er die bestellten Waffen abholen konnte. Er wußte, daß nicht mehr viel Zeit blieb, und er ahnte, daß das schwächste Glied in der Kette nicht Lise, sondern Lises Mann war. Es war nur so ein Gefühl, aber er hatte es Lises Gesichtsausdruck angesehen, daß sie enttäuscht und traurig und ein wenig sauer war. Sie wollte nicht zu ihrem Mann hinüber und nach Feierabend einen mit ihm trinken. Im Gegenteil, sie hatte mit zusammengekniffenen Augen zur Kneipe hinübergeschaut, bevor sie ganz unerwartet schnell und fest gegen das eine Vorderrad von Oles Autos trat, ihr Rad wieder aufschloß und wegfuhr, ohne sich noch einmal umzublicken.
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LISE FUHR SO SCHNELL, daß sie zu ihrem Ärger zu schwitzen anfing, und schon bald kam sie sich reichlich albern vor. Auf diese Weise löste man ja wohl keine Probleme. Sie sollte Ole lieber mit der Tatsache konfrontieren, daß sie sich einen
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