Der Fluch der bösen Tat
nach dem sicheren, vertrauten Rahmen vergangener Zeiten. In denen die landwirtschaftlichen Betriebe noch sauber und die Geschlechterrollen klar definiert waren. Bei denen man vergessen konnte, daß die siebziger und achtziger Jahre überhaupt existiert hatten. In denen Dänemark wie eine unveränderliche Morten-Korch-Landschaft im ewigen Sonnenschein dalag, und die Vagabunden Lieder anstimmten, statt verwahrlost herumzustreunen und Flaschen aufzusammeln und auf der Straße zu betteln. Gegen Mitternacht rief sie Per noch einmal an, aber er antwortete noch immer nicht. Ole kam in dieser Nacht nicht nach Hause.
Am nächsten Morgen setzte sie sich in ihr kleines gemütliches und feminines Arbeitszimmer in der Redaktion und schrieb ihren Artikel. Das Zimmer war mit Büchern und Plakaten und ausländischen Kulturzeitschriften und Pflanzen vollgestopft. Sie dachte an Ole, und sie dachte an Per, aber sie zwang sich mit leichter Hand und wachem Geist zu schreiben, wie Tagesen immer sagte, und es flutschte tatsächlich ganz gut, so daß sie es ans Sekretariat weiterschickte. Dann machte sie die Datei zu Sara Santandas Besuch auf. Sie hatte ihr ein Kodewort gegeben, damit kein Unbefugter Zugriff darauf hatte. Sie schaute sie sich an. Es sah gar nicht so schlecht aus, und für Fernsehzwecke bot das Flakfort ein hervorragendes Ambiente. Hauptsache, das Wetter spielte mit. Heute war es kühl geworden, über den Himmel jagten graue Wolken. Später würde es bestimmt regnen, obwohl die Vorhersage von Wetterbesserung gesprochen hatte. Das Telefon klingelte. Sie meldete sich. Am anderen Ende hörte sie eine angenehme Männerstimme.
»Guten Tag. Keld Hansen hier«, sagte die Stimme. »Ich bin freier Mitarbeiter für ein paar jütische Fachzeitungen. Sie haben doch mit dem Besuch der Schriftstellerin Sara Santanda zu tun, nicht wahr?«
»Das kann ich nicht so recht kommentieren«, sagte sie.
»Das hat Ihre Zeitung doch selber geschrieben.«
»Ist auch wieder wahr«, sagte Lise und kam sich selbst etwas albern vor. Per hatte sie schon richtig angesteckt.
Die Stimme fuhr fort: »Ich bin ein Kollege von Ihnen. Es ist ungemein wichtig für mich. Ich kann als Freier eine Story immer gebrauchen. Und meine Zeitungen wollen gern ihre eigene Geschichte daraus machen. Das können Sie als feste Redakteurin doch gut verstehen, oder?«
Sie bekam fast ein schlechtes Gewissen.
»Das verstehe ich schon. Aber es ist gar nicht sicher, daß sie kommt.«
»Ich versteh schon, daß man aufpassen muß, aber falls nun …«
»Dann müssen Sie den dänischen PEN kontaktieren. Es ist eigentlich nicht Politiken … «
»Verstehe. Aber Sie sind doch die Vorsitzende. Können Sie mir die Adresse des PEN-Klubs geben?«
»Das ist meine eigene.«
»Also, was soll ich tun?«
»Sie schreiben mir, ich setze Sie auf die Liste, und dann werden Sie akkreditiert. Die Sicherheit wird bei diesem Besuch großgeschrieben.«
»Wann kommt sie?«
»Kann ich nicht sagen, aber schreiben Sie lieber heute als morgen. Dann kommen Sie auf die Liste.«
»Danke. Und herzlichen Dank für die Hilfe«, sagte die angenehme Stimme, die Vuk gehörte. »Es ist schön, hier drüben mitzubekommen, daß ihr in Kopenhagen uns auch berücksichtigt.«
»Es ist immer schön, einem Kollegen weiterhelfen zu können«, sagte Lise und legte auf. Wahrscheinlich hatte sie schon zu viel gesagt. Jedenfalls mehr als angedeutet, daß Sara kam, und zwar bald. Aber es hatte ja auch keinen Zweck, daß sie weiterhin so vage blieben. Er war ja nicht der erste Kollege, der angerufen hatte. Irgendwann mußten die Leute ja zusammengetrommelt werden, aber wie stellte man das an? Vielleicht hatte Per eine Idee. Er hatte sie heute morgen angerufen und gesagt, er wolle sie gegen vier abholen. Sie freute sich wie ein Schulmädchen. Mit ihm zusammenzusein. Ihn in der konspirativen Wohnung zu lieben, denn sie konnte ihn ja nicht mit nach Hause nehmen, und er hatte sie nicht zu sich eingeladen.
Es klopfte an der Tür, und Tagesen kam hereingerauscht, dasselbe Energiebündel wie immer. Sie konnte gerade noch auf F7 und auf ja tippen und die Liste speichern, als die Tür aufging.
»Kannst du nicht warten, bis ich herein sage?« sagte sie böse.
»Ich hoffe, du verwahrst es gut«, sagte Tagesen.
»Natürlich. Kodewort und so weiter. Sara ist Simba. Die Wohnung ist die KW ohne Adresse. Und so weiter. Ich schreibe ja auch nicht einfach so, worum es sich dreht, nicht wahr. Ich mach das zu Hause fertig. Dann kannst
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