Der Fluch der bösen Tat
ihretwegen ein Mensch sein Leben verloren hatte und sie gemeinsam die Schuld trugen, verband sie mit einer unsichtbaren Fessel. Per zog den kleinen, dünnen Papierumschlag mit dem Negativ hervor und reichte ihn Igor. Ohne es anzusehen steckte Igor es in die Manteltasche.
»Es gibt keine weiteren Kopien, Igor.«
Igor sah Per an. Dann sagte er: »Leben Sie wohl, Herr Toftlund. Wir werden uns wohl kaum wiedersehen.«
Er ging. Per sah den schlanken Russen über das feucht glänzende Gras gehen. Nein, sie würden sich wohl nie wiedersehen. Igor fühlte sich in Dänemark zu Hause, aber er war gezwungen, sich eine neue Stelle zu suchen oder nach Moskau zurückzukehren. Nun, da er wußte, was sie wußten, konnte er weder offen noch verdeckt weiter operieren. Früher hätte Per versucht, die Situation auszunutzen und ihn als Agenten für Dänemark anzuwerben, aber er war froh, daß das jetzt nicht erforderlich war. Eigentlich hatte er Igor immer gemocht. Unter anderen Verhältnissen hätten sie Freunde werden können.
Toftlund versammelte seinen Stab und unterrichtete ihn über die neueste Entwicklung. Es würde immer noch unglaublich schwierig sein, Vuk aufgrund der vorliegenden Informationen in der Millionenstadt zu finden, aber Toftlund verlangte trotzdem, daß man systematisch die kleineren Hotels durchging und einen offiziellen Steckbrief für die Streifenwagen anfertigte, falls sie auf den dänisch sprechenden Serben stoßen sollten. Natürlich wußten sie, daß die Aufgabe fast unmöglich war und nur Glück ihn ans Tageslicht befördern könnte. Die Stadt wimmelte von blonden, blauäugigen, durchtrainierten, dänisch sprechenden Männern. Aber falls er einen Fehler beging, wußten sie jetzt, mit wem sie es zu tun hatten. Toftlund schärfte ihnen ein, daß Vuk lebensgefährlich war. Er war ein Killer, und sie sollten nicht versuchen, auf eigene Faust den Helden zu spielen, falls das Unwahrscheinliche einträte und er ihnen über den Weg liefe. Glänzend sah es nicht aus, aber die Stimmung war dennoch besser. Jetzt war die Sache viel konkreter. Es gab einen Meuchelmörder in der Stadt, sie hatten eine Personenbeschreibung, auf die sie sich, auch wenn sie bei weitem nicht ausreichte, beziehen konnten, und sie hatten eine konkrete Bedrohung, die vielleicht sogar Politiken und Simba davon überzeugen würde, den Besuch abzublasen, und die es auf jeden Fall leichter machte, die nötigen Ressourcen für die Aufgabe zusammenzukratzen.
Am Ende der Besprechung herrschte allgemeine Zuversicht.
»Bist du seefest, John?« fragte Per.
»Das weißt du doch. Warum?«
»Wir werden einen Ausflug zum Flakfort machen, aber vorher müssen wir noch ein tolles Mädel abholen.«
»Ich wußte doch, du bist irgendwie anders. Du bist verliebt, verdammt nochmal.«
»Schon möglich.«
»Sie ist doch verheiratet.«
»Das ist nicht mein Problem«, sagte Per.
»Du bist ein unmoralischer Kerl«, sagte John und nahm seine Windjacke, die über einer Stuhllehne hing. Es war die gleiche wie Pers, nur blaugrau. John war seit zehn Jahren mit einem Mädchen verheiratet, das er seit der Schulzeit kannte, und auf Per wirkte das Paar noch immer so frisch verliebt wie bei der Trauung in der Kirche. Einerseits war er heilfroh, nicht seit zehn Jahren mit derselben Frau zusammenzuhocken, andererseits war er auf Johns stabile Beziehung, sein sorgloses Heim und die beiden hübschen Söhnchen auch ein wenig neidisch. Vielleicht war er inzwischen selbst zu einem Versuch bereit, obwohl ihn der Gedanke, er müsse plötzlich alles mit einem anderen Menschen teilen und ständig Verantwortung für ihn empfinden, auch erschreckte. Aber was er gesagt hatte, meinte er auch: Lise war ein tolles Mädel.
Lise Carlsen saß in ihrem Zimmer bei Politiken und schrieb die Pressemitteilung, die an die Medien gehen sollte. Darin lud der dänische PEN zu einer Pressekonferenz mit dem deutschen Autor Herbert Scheer ein. Die Journalisten sollten sich am Nyhavn vor dem Lagerhaus am Kai einfinden. Dann würden sie zu Scheer geführt, der sich in der Stadt aufhielt, aber wegen der Bedrohung durch deutsche und dänische Neonazis wolle man seinen Aufenthaltsort geheimhalten. Nur vorher angemeldete Journalisten würden an Bord gelassen. Für kleine Speisen und Getränke wäre gesorgt. Sie freute sich schon auf die Zeit, wenn der Santanda-Besuch überstanden war und sie sich wieder mit richtiger journalistischer Arbeit beschäftigen durfte. Und sie sich wieder auf all die anderen
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