Der Fluch der bösen Tat
Aufgaben konzentrieren konnte, die sich auf ihrem Schreibtisch häuften. Mit der Korrespondenz, die sie in ihrer Eigenschaft als dänische PEN-Vorsitzende zu erledigen hatte, war sie hoffnungslos im Rückstand. Es war viel mehr Arbeit, als sie sich damals, als sie ihrer Wahl zustimmte, vorgestellt hatte. Sie hatte sich geehrt gefühlt, weil man sie allgemein schätzte und als gute Organisatorin ansah. Aber sie hatte den Job auch gewollt. Es war Zeit für einen Generationswechsel und dafür, daß endlich eine Frau am Tischende saß. Tagesen hatte sie freigestellt, solange der Santanda-Besuch vorbereitet werden mußte, so daß sie gegenüber der Zeitung kein schlechtes Gewissen zu haben brauchte, aber sie sehnte sich nach dem Alltag. Dann hätte sie auch wieder Kraft, ihr chaotisches Privatleben zu ordnen. Sich mit Ole auszusprechen, zu klären, was aus ihr und Per werden sollte. Sie sah Ole ja kaum noch. Gestern war sie früh nach Hause gekommen, aber Ole war nicht da gewesen. Sie hatten ohne viele Worte gefrühstückt. Er tat ihr leid. Er sah elend aus, müde und ein bißchen alt. Ohne die Vitalität und männliche Ausstrahlung, die Per auszeichnete. Er saß mit zusammengesunkenen Schultern auf seinem Stuhl und sah zerbrechlich aus. Fast porzellanhaft grau. Es war nicht fair zu vergleichen, aber sie tat es die ganze Zeit. Sie fühlte sich selber jünger und stärker. Sie lachte viel mit Per. Wann hatte sie zuletzt mit Ole gelacht? Sie hatte Mitleid mit ihm, aber wenn sie das auch nur andeutete, würde er rasend werden, das wußte sie.
»Soll ich uns heute abend was kochen?« hatte sie sogar in einem Anfall von Mitgefühl gefragt, obwohl sie wußte, daß sie bestimmt einen Rückzieher machen und entweder in die Redaktion oder zu Per gehen würde.
»Ich geh heut abend essen«, hatte er gesagt.
Sie war ganz verblüfft gewesen, daß er auch ein Leben ohne sie hatte.
»Mit wem denn?«
Ole hatte sie mit seinen müden, leicht rot unterlaufenen Augen angesehen, aber in seine Stimme mischte sich ein wenig von der alten Ironie.
»Einem Mann, Lise. Einem jungen Mann, den ich kennengelernt habe und mit dem ich mich ein paarmal unterhalten habe. Ein Mann aus Jütland, der genauso allein ist wie ich.«
Dann war sie mit der Bemerkung gegangen, sie sei spät dran, und wieder war eine Gelegenheit zur Versöhnung oder zumindest zu Gespräch und Annäherung verpaßt. Am schlimmsten war, daß sie so phantastisch guter Laune war, sobald sie die Wohnung verließ, weil sie bei einer Zeitung arbeitete, die sie mochte, und später einen Mann treffen würde, in den sie verliebt war und mit dem sie hoffentlich am Ende des Tages schlafen würde, wenn er sie zu sich nach Hause einlud. Es gefiel ihr überhaupt nicht, abhängig zu sein, aber gleichzeitig konnte sie ihn nicht entbehren. Es war, als wäre sie wieder im Teenageralter. Es war schrecklich und herrlich zugleich. Sie fühlte, daß sie lebte.
Sie steckte sich eine Zigarette an und kehrte wieder zu ihrer Pressemitteilung auf dem Schirm zurück. Es würde schon alles werden, trotz des grauen Wetters regnete es nicht, und sie freute sich auf die Fahrt zum Flakfort.
Die White Whale war ein flaches schönes Holzboot. Sie lag zwischen den anderen Holzbooten am Kai im Nyhavn. Die Restaurantterrassen vor den ockerfarbenen, roten und braunen Altstadthäusern waren voller Menschen. Die Segelschiffe schaukelten sanft hin und her, und der Wind zauste die Wimpel. Das Schiff für die Kanalrundfahrt lief zu seiner Tour durch den Hafen aus, und aus Malmö legte eins der Tragflächenboote an. Die Szenerie war wie geschaffen für eine Touristenreklame, dachte Lise erfreut. Die White Whale hatte ein kleines Achterdeck, wo ein Rettungsfloß in seinem Container aufgehängt war. Auf dem Achterdeck konnte das Schiff mit einem altmodischen großen Steuerruder sowie einem Hebel gelenkt werden, mit dem die Umdrehungen des Motors kontrolliert wurden. Vor dem Steuer befand sich eine schöne alte Glocke, aber das schlanke Motorschiff hatte natürlich auch Funkverbindung und Echolot. Der Käptn war ein Mann in den Dreißigern, er stellte sich selbst als Jon und seinen Matrosen als Lars vor. Anscheinend kannten sie Per und John, die gerade an Bord sprangen. Per half Lise und zeigte ihr zuerst das Steuerhaus, von dem aus das Schiff bei schlechtem Wetter gelenkt wurde, und die Kajüte, in der sechs bis acht Personen um einen Tisch Platz fanden. Sehr heimelig, mit Gardinen, eine kleine Küche war auch da. Aber
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