Der Fluch der Druidin
Kimbern gelegt hatte, in einem unbesuchten Zelt auf der Ebene des Padus’, keine zwei Tagesmärsche von den Stellungen der Römer entfernt, erhob sich Sumelis’ Seele in einem Flammensturm und schrie ihr Leid in die Leere hinaus.
»Atharic, wach auf!«
Es war der Tonfall, der ihn in die Höhe fahren und nach Talias Arm greifen ließ. Oder zumindest beabsichtigte er das, denn seine Hand glitt ab auf ihrer schweißnassen Haut und streifte stattdessen ihren gleichfalls feuchten Bauch. Das Zimmer der Herberge, in der sie nächtigten, war warm und stickig ohne Fenster, allerdings nicht heiß genug, um diesen Schweißfilm auf Talias Haut zu zaubern. Es war ein kalter geruchloser Schweiß, ohne einen Hauch von Krankheit in sich. Die Flamme der tönernen Öllampe, die Talia in den Händen hielt, brachte die Feuchtigkeit auf ihrem Handgelenk zum Glänzen.
»Ich brauche etwas zu trinken.«
Er konnte hören, wie trocken ihr Mund war. Ihre Zunge schien sich kaum vom Gaumen lösen zu wollen. Wortlos reichte Atharic seiner Frau den Krug lauwarmen Wassers, den ihnen der Wirt mit aufs Zimmer gegeben hatte. Talia trank in lauten, gierigen Schlucken. Unterdessen trat Atharic an eine Ritze zwischen den Planken der schlecht gezimmerten Hauswand und warf einen Blick durch den Spalt nach draußen. Es war vollkommen dunkel, nicht ein Licht zeigte sich in der Straße unter ihm, obwohl sie die Hauptstraße Comums darstellte. Lange nach Mitternacht, schloss Atharic daraus. Die Zeit vor dem ersten Morgengrauen, wenn wirklich alles und jeder schlief. Darin unterschieden sich die Menschen auf dieser Seite der Gebirge nicht von den nördlichen Völkern. Überhaupt schien die Welt hier nicht allzu fremd, anders ja, dennoch vertraut. Rom mochte die Vorherrschaft über die in der Ebene des Padus lebenden Stämme inne-, sie vor Generationen unterworfen haben, aber die Angleichung an römische Gepflogenheiten schien ein langsamer Prozess, der vor allem von einer alteingesessenen herrschenden Schicht ausging. Die Comenser verehrten nicht über Nacht die neuen römischen Götter, davon hatten sich Atharic und Talia selbst überzeugen können, als sie das große, am Rande der Sümpfe errichtete offene Heiligtum außerhalb der in den Hügeln gelegenen Stadt aufgesucht hatten. Talia hatte eine kleine kreiselförmige Flasche aus Ton gekauft, sie mit klarem Wasser gefüllt und als Opfergabe an die örtlichen Götter auf eine dafür vorgesehene Steinplatte gestellt. Dort hatte bereits eine weitere Schale gestanden, auf die ein Mann Zeichen in einheimischer Schrift geritzt hatte, einer Schrift, die weder römisch noch griechisch war. Wahrscheinlich hatte er sein Opfer mit seinem Namen markiert, vermutete Talia. Hier am Heiligtum hatte man sie auch an die Herberge verwiesen, in der sie jetzt nächtigten. Der Wirt vermietete seine Kammern an Reisende, die nach Comum kamen, um im Heiligtum den Göttern die Ehre zu erweisen und gleichzeitig Geschäften nachzugehen. Comum war schon lange vor den Römern ein Zentrum des Handels gewesen, günstig gelegen und weit über sein eigentliches Einflussgebiet hinaus bedeutend. Es war beinahe erschreckend einfach gewesen, hier jemanden zu finden, mit dem Talia und Atharic sich verständigen konnten.
Ein kühler Luftzug blies durch den Spalt hindurch und ließ Atharics Auge tränen. Er roch frisch, überhaupt nicht nach Stadt, wobei Atharic nicht sicher war, ob das am Wind selbst lag, der von den von üppigem Grün bedeckten Hängen und dem See herbeiwehte, oder womöglich doch an den Kanälen für Schmutzwasser, welche die Comenser nach römischem Vorbild gebaut hatten. Sich das Lid reibend, richtete er sich wieder auf. Als er sich umdrehte, saß Talia auf der Kante einer wackligen Liege, für welche die kleine Kammer eigentlich keinen Platz bot. Sie hatte die Schneidezähne in die Unterlippe gebohrt, wie um sich von einem anderen, stärkeren Schmerz abzulenken.
»Was war los?«, fragte Atharic.
»Sumelis.«
»Was?« Atharics Ausruf handelte ihnen ein ärgerliches Klopfen ihres Nachbarn ein, gefolgt von einem Schimpfwort, das sie nicht verstanden. Atharic ging in die Knie und griff nach Talias Schulter. Sie musste sich, während er nach draußen gestarrt hatte, den Schweiß abgewischt haben, denn ihre Haut war nur noch kalt, nicht mehr nass. Leiser drängte er: »Was ist mit Sumelis?«
»Ich weiß es nicht!« Talia verbarg ihr Gesicht hinter den Händen. Die Nägel gruben sich in ihre Stirn, bis sich
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