Der Fluch der Druidin
sichelförmige Abdrücke bildeten. In der Ferne grollte ein Donner, der Wind frischte auf. Kurz darauf flackerte die Flamme ihrer kleinen Lampe und erlosch. Sie saßen in der Finsternis.
»Es war wie ein Waldbrand, den man noch nicht sieht, und plötzlich treibt einem ein Windstoß Rauch an die Nase. Oder wie der Ausläufer eines Sturms, der deine Haare bewegt. Nein, nicht so, es war schon eher ein Aufflackern …«
»Talia, ich verstehe kein Wort!«
»Ihre Seele. Sumelis hat ihre Seele ausgeschickt. Wie einen Schrei. Und ein Echo davon habe ich gehört. Im Traum. Ich habe geträumt, und dort habe ich sie gespürt.«
»Bist du sicher?«
»Ja! Ich würde ihre Seele immer erkennen. Ihre Farbe, ihr Licht, ihre Wärme, ihren Geschmack in meiner.«
»Hat Sumelis ihre Seele absichtlich ausgeschickt?«
»Ich weiß es nicht. Es war zu wenig, zu kurz.«
»Aber es bedeutete nicht –« Atharic zauderte. »Es war nicht ihr Tod?«, zwang er sich zu fragen.
Talias heftiges Kopfschütteln ließ ihre Haarspitzen über seine nackten Schenkel streichen. »Nein, bestimmt nicht! So war es nicht. Es war kein Todesschrei, ihre Seele war nicht auf dem Weg in die Andere Welt. Sumelis, sie, sie lebt!«
Sie lebt.
Stumm drückte Atharic Talias Hand. Einen Moment lang war es ihm egal, was diesen Aufschrei ausgelöst haben mochte, damit Talia ihn im Schlaf – in der Traumwelt, verbesserte sie ihn zögernd, als er es aussprach – spüren konnte. Sumelis lebte. Und er und Talia waren der richtigen Fährte gefolgt.
»Wir sind ihr nahe, nicht wahr?«, vergewisserte er sich. »Wenn wir falschgelegen hätten und Sumelis nicht auf diese Seite des Gebirges, nicht zu den Kimbern gebracht worden wäre, dann hättest du nichts gefühlt, oder doch?«
»Das nehme ich an.«
»Ist es falsch, jetzt erleichtert zu sein?«
Talia zögerte, ihre Finger Eiszapfen in Atharics Hand. Er hörte einen Tropfen auf den schmutzigen Bretterboden des Zimmers fallen: kein Schweiß mehr, sondern Tränen. Schließlich flüsterte sie: »Was leidet, lebt.«
»War das ein Schrei?«
Marcus Valerius schreckte hoch. Er hätte sich selbst den Hintern versohlen mögen, weil er eingeschlafen war, und noch mehr, weil Flaccus es bemerkt hatte. Wieso, verdammt, waren ihm die Augen zugefallen? Sein Körper war noch immer ausgekühlt von der Durchquerung des Flusses, Kiesel bohrten sich in jede empfindliche Stelle seines Körpers, obendrein befanden sich er und Flaccus nahe genug am Lager der Kimbern, um von Zeit zu Zeit Stimmen, Hundegebell oder gar schwere Schritte zu hören. Jeder gute Legionär wäre hellwach gewesen!
»Lass uns was für deine Bildung tun!«, hatte Flaccus gegrinst, als er Marcus am Morgen noch vor den Vögeln geweckt hatte. Er hatte ihrem Zenturio etwas vorgefaselt von Marschieren üben, Schanzarbeiten, Legionen kennenlernen, der Junge hätte bis jetzt nur schweres Gepäck geschleppt und Waffenübungen mit Holzschwertern gehabt, dabei stünde die Schlacht bald bevor, und bis dahin sollte er besser mal scharfes Eisen in der Hand gehabt haben, von Schlachtformationen hätte Marcus auch keine Ahnung, ja, Einzelunterricht unüblich, das wüsste er, aber da der Konsul persönlich den Jungen aufgenommen hatte, könne man ihn ja wohl nicht wie einen gewöhnlichen Rekruten behandeln, schließlich hätte er vom ersten Tag an eine Sonderbehandlung erfahren, oder etwa nicht?
Irgendwie – Marcus hatte Flaccus’ geschmeidigem Redeschwall nicht lange folgen können – hatte der letzte im Raum hängende Satz Eindruck auf den Zenturio gemacht. Die Art und Weise von Marcus’ Rekrutierung hatte sich herumgesprochen, seitdem schienen ihn die Männer für einen Glücksbringer zu halten. Flaccus hatte gescherzt, er würde ihn am liebsten auf ein Lederband fädeln und ihn sich um den Hals hängen, doch das würde er auch zu allen Weibern sagen, und obwohl Marcus noch eine genauso weiche Haut wie ein Mädchen habe, bevorzuge er trotzdem die mit den Brüsten. Marcus sei doch wohl nicht schwul, hatte er misstrauisch hinzugefügt, als dieser ihn nur verständnislos angeglotzt hatte, um kurz darauf heftig den Kopf zu schütteln. Der Zenturio, der noch immer konzentriert Flaccus’ Ausschweifungen zu folgen versuchte, hatte unweigerlich mit dem Jungen den Kopf geschüttelt, sich selbst dabei ertappt und war rot angelaufen. Er hatte etwas von Gaius Marius’ Willen gemurmelt, dass Flaccus persönlich für Marcus verantwortlich sei und er sie beide morgen Abend
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