Der Fluch der Druidin
übermorgen nach ihr schauen, Nando. Rascil soll nicht zu weit gehen, wer weiß, wann ich Sumelis demnächst brauche. Und wenn ich sie brauche, sollte sie besser schnell zur Verfügung stehen.«
»Also glaubt Ihr nicht mehr, dass sie eine Gefahr für Euch ist?«
Boiorix zuckte mit den Achseln. »Das habe ich nicht gesagt. Außerdem spreche ich nicht nur über meine Alpträume. Sumelis ist bestimmt« – Boiorix dehnte die folgenden Worte bewusst – »vielfältig einsetzbar.«
»Ihr solltet lieber jemand anderen nach ihr sehen lassen«, sagte Nando hastig, bevor er darüber nachdenken musste, was Boiorix mit dieser Andeutung wohl meinte. »Ihr wisst selbst, wie beschäftigt ich mit allem bin: den Vorbereitungen für die Schanzarbeiten, den Wagenburgen, die Aufstellung unserer Reiterei, wo jeder kleine Anführer meint, den besten Platz für sich und seine Männer beanspruchen zu können.« Nando merkte, dass er seinen König langweilte, und biss sich auf die Zunge. »Außerdem verstehe ich nichts von irgendwelchen Tränken. Schickt lieber den Krüppel!« Beinahe hätte Nando noch »bitte« hinzugefügt. Stattdessen hörte er sich sagen: »Ich fühle mich nicht für sie verantwortlich, Herr.«
»Der Krüppel! Rascil hat dem Narren schon drohen müssen, damit er Sumelis überhaupt den ersten Mohnsaft brachte! Auf ihn ist kein Verlass, er führt sich auf wie ein verliebtes Hündchen! Und Rascil würde bestimmt gerne den ein oder anderen weiteren Trank an Sumelis ausprobieren. Nein, Nando, wenn du mit dem Mädchen ausreiten konntest, wirst du es wohl schaffen, mal einen kurzen Blick auf sie zu werfen!«
»Ich …« Nando atmete tief durch. »Wie Ihr wünscht. Ich denke, ich, ich kann es übermorgen einrichten. Spätestens den Tag darauf.«
Oder den nächsten.
Vielleicht griffen die Römer sie bis dahin ja an? Möglicherweise, hoffte Nando, würde er zu beschäftigt sein, um zu Sumelis zu gehen. Immerhin war es für sie beide besser, wenn sie sich nicht mehr trafen.
Zum ersten Mal in seinem Leben stellte Nando fest, dass er ein Feigling war. Kurz darauf stahl sich ein weiterer Gedanke hinzu:
Es ist nicht ihre Schuld.
Farben. Sie sah überall Farben. Seelen, vermutete sie, ohne sich dessen völlig sicher zu sein. Irgendwie schien sie die Kontrolle über ihre Gabe verloren zu haben, dabei konnte sie mit Gewissheit annehmen, gerade nicht zu träumen. Sie wusste, man hatte ihr etwas gegeben, einen Trank, Kräuter, Pilze, was auch immer. Etwas, das Zeit und Raum veränderte, die Grenze zwischen jener Welt und – anderen.
Sumelis lehnte den Getreidebrei, den man ihr in einer Schüssel in die Hand drückte, dankend ab. Sie hatte keinen Hunger. Doch die in weißen Ärmeln steckenden Hände nötigten sie zu essen. Also kaute sie lustlos, schluckte und drehte nach fünf Bissen den Kopf weg. Sie bedeutete, sie müsse sich erleichtern. Man half ihr hoch, sie schwankte kurz, dann lief sie selbständig. Langsam schärfte sich auch ihr Blick. Die Priesterin – Sumelis kannte die Frau nicht – folgte ihr. Ihre Seele: ein flackerndes Blau, das kam und ging. Ungerufen.
Eine Woge vager Angst schwemmte über Sumelis hinweg und verflog genauso schnell wieder.
Ihr war übel. Sie ließ ihr Wasser – ein paar Tropfen nur, mehr wollte nicht kommen –, erbrach sich, woraufhin sie von der Priesterin zurückgeführt wurde. Nein, nicht zurück zu ihrem Zelt. Ihr Kopf wurde langsam klarer, der Schwindel legte sich. Wenn sie nur ihre Gabe in den Griff bekommen würde! Die Farben der Seelen in ihrer Nähe waren wie Fische. Sobald sie nach ihnen greifen wollte, flitzten sie davon oder glitten einfach zwischen ihren ausgestreckten Fingern hindurch. Die Augen schließen nützte nichts. Nun, ein wenig. Manchmal.
Die Priesterin half ihr auf einen Wagen. Ängstlich tastete Sumelis nach dem Beutel an ihrer Hüfte und stellte erleichtert fest, dass er noch immer da war. Sie konnte die Zinken des Kamms über ihre Fingerspitzen gleiten spüren, ein leichtes Kitzeln auf den Kuppen. Sumelis seufzte. Das, zumindest, war wirklich.
Ich sollte ihn wegwerfen.
Die Plane des Wagens war hochgeschlagen, daher hatte Sumelis eine gute Sicht auf ihre Umgebung. Sie reckte den Hals, blinzelte gegen die Sonne an, aber von Nando sah sie nichts. Sie wusste nicht einmal, in welchem Teil des Lagers sie sich befand. Der ganze Zug war in Aufruhr. Alles bewegte sich. Wie Wellen. Dabei hätte Sumelis nicht einmal mehr sagen können, wo genau sie soeben noch
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