Der Fluch der Druidin
reichte, damit sie sich das verheulte Gesicht abwischen konnte.
»Wie wolltest du sie aus dem Lager schaffen?«
»Wartet hier!« Nando verschwand zwischen zwei Wagen. Es dauerte nicht lange, bis er wieder zum Vorschein kam, ein langes weißes Oberkleid in der linken Hand, ein Pferd am Zügel in der rechten.
»In dem Kleid hier wird man dich für eine Priesterin halten«, erklärte er Sumelis. »Glaub mir, dies ist die perfekte Nacht für eine Flucht. Rascil hat alle Priesterinnen zu einem gemeinsamen Ritual befohlen, wir werden also keiner begegnen. Es wird niemand wagen, dich aufzuhalten.«
»Du kommst nicht mit?« Sumelis, die bereits begonnen hatte, das Oberkleid mit Spangen zu befestigen, hielt entsetzt inne.
»Natürlich komme ich mit. Das sagte ich doch bereits.« Nando warf einen Blick auf Atharic und fügte beinahe trotzig hinzu: »Es hat sich nichts geändert.«
Diesmal gab es kein Zurück. Nando hatte den Mann, den Boiorix an seine Seite befohlen hatte, am späten Nachmittag aus dem Lager gelockt und getötet. Nando hatte gewusst, dass Boiorix ihn beobachten ließ. Er konnte es ihm nicht einmal vorwerfen, er selbst hätte nicht anders gehandelt. Folglich hatte er dafür gesorgt, dass Boiorix’ Spitzel keinen Grund hatte, misstrauisch zu werden, bis Nandos Schwert sein Herz durchbohrte.
Doch selbst wenn es möglich gewesen wäre, den Mord zu vertuschen, diesmal würde Nando seine Entscheidung nicht zurücknehmen. Er würde mit Sumelis gehen. Die Kimbern verlassen, seinen König, sein Volk. Selbst wenn das bedeutete, für immer von jenen geächtet zu werden, deren Respekt ihm einst alles bedeutet hatte. Ein Verräter, der sich am Vorabend der Schlacht feige davonschlich.
»Wird dich niemand aufhalten, wenn du versuchst, das Lager zu verlassen?«, fragte Atharic Nando ruhig.
»Nein, das wird niemand wagen. Ich kann gehen, wohin ich will.« Nando verschränkte die Arme vor der Brust und starrte Atharic provozierend an. »Ich bin Boiorix’ rechte Hand.«
»Das habe ich schon gehört.«
Sumelis, deren verwirrter Gesichtsausdruck zeigte, dass sie nicht verstand, was zwischen den beiden Männern vorging, schob sich zwischen die beiden. »Helft ihr mir auf das Pferd?«
Nando und Atharic traten gleichzeitig vor, um nach ihrer Hüfte zu greifen. Einen Moment lang berührten sich ihre Finger an Sumelis’ Taille. Sie zögerten. Dann, mit einem tiefen Atemzug, ließ Atharic die Arme fallen und trat zurück. Schweigend wartete er, während Nando Sumelis auf den Rücken des Pferdes hob, und griff daraufhin nach den Zügeln. »Du gehst voran, Nando. Führe uns! Wir folgen ein Stück hinter dir, einverstanden?«
»Ich werde das Pferd selbst führen.«
»Wenn die rechte Hand des Königs persönlich das Pferd einer Priesterin führt, würde das mit Sicherheit jemandem auffallen, meinst du nicht?«
Nando hätte gerne erneut widersprochen. Eine aufsässige Jungenstimme in ihm wünschte Atharic weit fort, wollte ihn anbrüllen, er brauche ihn nicht, Sumelis brauche ihn nicht. Gleichzeitig wusste er, dass Atharic keine Handbreit von Sumelis’ Seite weichen würde. Abgesehen davon hatte sein Vater in diesem Fall leider recht.
Sumelis öffnete den Mund, verstört von der Spannung zwischen den beiden Männern, aber Nandos schroffes »Hier entlang!« kam ihr zuvor.
Es gelang ihnen nicht, unbemerkt zu bleiben. Nando führte sie jedoch durch jenen Teil des Lagers, der den ärmeren Kriegern mit ihren Familien vorbehalten war, und so stellte niemand Fragen oder wagte gar, sie aufzuhalten. In den Gesichtern jener, welche die Aussicht auf die bevorstehende Schlacht nicht schlafen lassen wollte, flackerte flüchtig Neugierde bei Nandos Anblick auf, wich aber rasch vorbeugender Teilnahmslosigkeit. Hier zog jeder es vor, nächtliche Streifzüge von Boiorix’ Vertrauten nicht zu hinterfragen.
Sie sprachen nicht, während sie das Lager durchquerten. Einmal lehnte sich Sumelis auf dem Pferd weit vor, bis sie Atharics Schulter berühren konnte, als wolle sie sich vergewissern, ob er tatsächlich echt war und kein Wunschtraum. Atharic drehte sich um und lächelte sie an. Sumelis lächelte zurück, und in ihrem abgespannten Gesicht wirkte dieses Lächeln so verwegen und erlöst zugleich, dass Atharic am liebsten stehen geblieben wäre und ihr gesagt hätte, dass er die Wahrheit kenne und dass es nichts, aber auch gar nichts zwischen ihnen ändern würde. Niemals. Doch jetzt war nicht die Zeit dafür. Also wandte sich Atharic
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