Der Fluch der Druidin
Talia. Deine Miene verrät deine Gedanken.«
»Meine Gedanken verraten Sumelis.«
»Und mich.«
Nervös zupfte Talia an ein paar Grashalmen, die ihre nackten Knöchel kitzelten. »Dann hoffst du also, dass er zurückkommt?«
»Natürlich! Er ist mein Sohn. Ich habe ihn gerade erst wiedergefunden.«
»Ich hatte nicht den Eindruck, dass ihm das etwas bedeutet.«
Unbehagliches Schweigen folgte. Die Sonne senkte sich immer tiefer zum Horizont, der Nachmittag ging in den Abend über, aber die trockene Hitze senkte sich nicht. Talia versuchte, ihre Hand in Atharics zu schieben, doch er entzog sich ihr. Unerreichbar füreinander saßen sie Seite an Seite zwischen den Obstbäumen und warteten auf Nandos Rückkehr. Einmal erhob sich Atharic und ging wortlos zum Stall hinüber. Er kam lange nicht mehr zum Vorschein, so lange, dass Talia schon annahm, Sumelis wäre aufgewacht. Als Atharic schließlich zurückkehrte und auf ihre stumme Frage hin lediglich den Kopf schüttelte, wusste sie, dass Sumelis noch immer schlief und Atharic einfach neben ihrem Lager gestanden und die Schlafende beobachtet hatte. In Sumelis’ Gesicht gesucht, wo er jetzt Dago erkennen konnte, wenn er wollte, zwischen den Zügen, die Sumelis mit ihrer Mutter und ihrem Großvater teilte.
»Weißt du eigentlich, dass sie schläft wie du?«, murmelte Talia. »Ausgestreckt auf der Seite, ohne die Knie anzuziehen, ohne sich einzurollen wie ich. Einen Arm ausgestreckt, wie wenn dort Raum sein müsse, weil dort immer jemand liegt.«
Atharic erwiderte anfangs nichts darauf. Eine Wespe ließ sich auf seinem großen Zeh nieder, krabbelte am Rand des Nagels entlang und flog schließlich enttäuscht davon.
»Ja, es ist schon komisch, Talia. Sumelis und ich sind uns ähnlicher, als du ihr jemals sein wirst. Dagegen scheinst du mit Nando mehr gemein zu haben, als ich es jemals hatte: Auch er scheint die Flucht bitteren Wahrheiten und Begegnungen vorzuziehen.«
Talia wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Kurz darauf fügte Atharic hinzu: »Wenn Nando als Kind wegen etwas geschimpft wurde, hat er in der Nacht geschlafen wie ein Hund. So weit eingekringelt, bis seine Nase schon fast seine Zehen berührt hat. Ist das nicht eine wunderbare Ironie?«
Zwei Pferde, die im Galopp zwischen den Resten des niedergerissenen Gehöftzauns hindurchpreschten, ersparten Talia eine Antwort.
Auf Stallhöhe brachte Nando sein eigenes Reittier sowie das, das er am Zügel hinter sich herzog, zum Stehen und sprang ab. Er schien den Stall betreten zu wollen, zögerte, warf einen Blick zu den Obstbäumen, unter denen sich Talia und Atharic erhoben, und kam langsam auf sie zu. Die Pferde hoben witternd die Köpfe, da sie am Brunnen mit seinen fauligen Wasserresten vorbeikamen, doch Nando zerrte sie weiter, bis er in einigem Abstand von Talia und seinem Vater abrupt anhielt.
»Wo bist du gewesen?«, fragte Atharic scharf.
Nando verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue in die Höhe. In diesen beiden Gesten war er Atharic plötzlich so ähnlich, dass Talia nach Luft schnappen musste. Keiner der beiden Männer achtete auf sie.
»Sieht man das nicht? Ich habe ein Pferd für Sumelis besorgt, damit wir morgen so schnell wie möglich von hier fortkommen.«
»Wir?«, vergewisserte sich Talia leise, aber ihre Frage wurde von Atharics ungehaltener übertönt: »Was sollte das, einfach so davonzupreschen? Du hast keine drei Worte mit uns gewechselt, geschweige denn mit Sumelis!«
»Ich wüsste nicht, was wir zu besprechen hätten. Ein Pferd besorgen fand ich wichtiger.«
»Woher hast du das Pferd? Hat man dich gesehen? Verfolgt man dich jetzt?«
»Ich habe meine Quellen. Ich weiß, was ich tue.«
»Sumelis scheint dieses Vertrauen in dich allerdings nicht zu teilen! Oder weshalb sonst hat sie sich die Augen ausgeheult, als du so plötzlich verschwunden bist?«
Der bis dahin sorgsam bewahrte kalte Ausdruck in Nandos Zügen veränderte sich. Wut, Scham, Sorge – es war schwer, dem Wechselspiel zu folgen, selbst für Talia, deren Nackenhärchen sich aufstellten, sie vor einer nebelhaften Gefahr warnten, die Nando ausatmete wie Rauhreif im Winter. Etwas stimmte nicht, wähnte sie. Da war etwas um Nando herum, ein Fehlen von …
»Ich habe dich nicht gebeten zu kommen!«, fuhr Nando Atharic an. »Sumelis und ich wären wunderbar alleine zurechtgekommen! Sie vertraut mir!«
»Weint sie deshalb? Weil sie dir vertraut und sicher ist, dass du zu ihr zurückkehren
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