Der Fluch der Druidin
Spott und echtem Humor geschwankt und seine Züge weicher hatte erscheinen lassen, verschwand. Sumelis bemerkte die Veränderung in seinem Gesicht, verstand die Warnung, dennoch war sie zu erregt, um auf die Stimme der Vernunft zu hören, die schrie, sie solle besser schweigen.
»Willst du wissen, was ich sehe, wenn ich dich berühre? Ich sehe eine Frage, und sie lautet: Was hast du dir selbst angetan, Nando? Was ist mit deiner Seele geschehen, damit sie so –«
»Genug jetzt!« Nando riss ihr den Lappen aus der Hand und warf ihn in den Krug. »Das reicht jetzt! Wir haben keine Zeit für dieses unsinnige Geschwätz! Iss noch etwas, bevor wir losreiten!«
Rote Flecken tanzten auf Sumelis’ Wange, doch sie wagte nicht, weiterzusprechen, so groß ihr Drang, ihm zu erzählen, was sie sah, auch war. Es ihm ins Gesicht zu schleudern! Um sich selbst zu beruhigen, begann sie, mit den Fingern durch ihre offen über den Rücken bis zur Taille fallenden Haare zu fahren, halb Kämmen, halb Streicheln. Diesmal kam sie allerdings nicht weit: Dreck rieselte zu Boden, die Strähnen fühlten sich stumpf und rauh an, und ihre Finger verfingen sich in unzähligen kleinen Knötchen, die an ihrer Kopfhaut zerrten.
»Bevor ich irgendwohin gehe, brauch ich zunächst einmal einen Kamm!«, fauchte sie, zu enttäuscht und wütend über ihren vergeblichen Fluchtversuch und ihren Entführer, um noch vorsichtig zu sein.
Nando fixierte einen Punkt an ihrem Scheitel. Dann, ohne Vorwarnung, trat er hinter sie, griff in ihre Haare und riss sie nach unten. Mit einem Aufschrei fiel Sumelis auf die Knie. Sie spürte, wie Nando ihre Haare zu einem dicken Zopf drehte, wie sein Messer aufblitzte, kurz bevor er begann, den Zopf knapp unterhalb ihres Halsansatzes durchzusäbeln. Sumelis stieß einen weiteren Schrei aus und schlug mit den Händen nach ihm. Nandos Knie bohrte sich in ihren Rücken, so dass sie bäuchlings nach vorne stürzte und sich nicht mehr rühren konnte. Das Messer säbelte weiter, unaufhörlich, während dicke Strähnen neben ihrem Gesicht zu Boden fielen wie weiche dunkle Körper, die sich im Fallen kringelten und grüßend ihre Wangen streiften. Sie vermischten sich mit den Tränen, die Sumelis vergoss, ihren Verwünschungen, die sie Nando entgegenschleuderte, und einem Gefühl, das sie niemals zuvor in dieser Intensität empfunden hatte: Verzweiflung.
Erst als die letzte Strähne zu Boden gefallen war und Sumelis’ Schluchzen leiser wurde, ließ Nando sie los.
»Die einzige Angst, die ich kenne«, sagte er schwer atmend, »ist die, vor meinem König zu versagen.«
»Mama, du hast da ein graues Haar!«
Talias Hand rutschte ab und ließ das Euter los. Prompt drehte die Kuh den Kopf, um nachzuschauen, was los war. Die sanften braunen Augen blickten so mitfühlend, dass es Talia schien, als hätte die Kuh genau verstanden, was Hari gesagt hatte.
»Nein, stimmt nicht. Eigentlich sind es zwei. Oder etwa drei?« Hari beugte sich vor, um in dem schlechten Licht besser sehen zu können. Seine Finger fuhren durch Talias Haare, als wäre er auf der Suche nach Läusen.
Nicht dass Talia Läuse nicht vorgezogen hätte.
Sie löste die klebrigen Hände ihres Sohnes von ihren Haaren und versuchte vergebens, ihn von sich zu schieben. Es ziepte, dann hielt Hari triumphierend etwas Dünnes, Graues so dicht vor ihre Nase, damit sie hätte schielen müssen, um es zu erkennen.
»Siehst du? Richtig grau! Wie Eisen!«
»Danke, das ist sehr aufmerksam von dir. Und was für ein wunderbarer Vergleich.«
Doch Hari war noch zu jung. Die Ironie prallte einfach an ihm ab. »Ich zeige es Vater, ja?« Bevor Talia ihn aufhalten konnte, war er auch schon davongestoben. Die Stalltür knallte hinter ihm zu und erschreckte die Kuh, die unversehens ihren Schwanz in Talias Gesicht klatschte.
»Das war nicht nötig!«, teilte Talia dem Euter mit. »Die meisten Frauen sind jünger als ich, wenn sie graue Haare bekommen.«
Sie wusste, dass sie für ihr Alter noch gut aussah. Sie hatte noch alle Zähne, und ihr Körper war straff und kräftig. Die Fältchen um ihre Augenwinkel waren zwar tiefer geworden, und vermutlich würde sie schon in einigen Jahren nicht mehr in der Lage sein, Kinder zu bekommen, aber nach dem Tod ihres jüngsten Sohnes, der nur zwei Monate gelebt hatte, war Talia sogar froh darüber. Sie hatte niemals vorgehabt, noch mit über fünfunddreißig Kinder zu bekommen, Fehlgeburten zu überstehen und zu erleben, wie ihre Milch nicht
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