Der Fluch der Druidin
sagt, dass er dann jemals wieder zurückkehrt?«
»Das ist Erpressung.«
»Nein, ist es nicht. Du bist nur schlecht gelaunt.«
»Alt, rachsüchtig und launisch?«
»Da siehst du mal, was ich Tag für Tag ertrage.« Atharic breitete die Arme aus und seufzte so inbrünstig, dass Talia lachen musste.
»Na gut, ich denke darüber nach und spreche mit Hari. Wir –«
Der Hund, der abrupt aufsprang und bellend zur Tür hinausschoss, unterbrach sie. Kurz darauf hörten sie es auch: ein Pferd, das sich im Galopp näherte. Talia wechselte einen Blick mit Atharic, der stirnrunzelnd den Kopf schüttelte und sich von dem Pfosten löste. »Keine Ahnung, wer das ist. Klingt jedenfalls nicht nach guten Nachrichten!«
Als sie aus dem Stall traten, umkreiste der Hund bereits bellend den Reiter. Ein zweiter gesellte sich zu ihm, doch ein Pfiff Atharics rief sie zurück. Mit heraushängenden Zungen und aufgeregt wedelnden Schwänzen ließen sie sich neben Talias und Atharics Füßen zu Boden fallen.
»Kennst du den Jungen?«
Atharic kniff die Augen zusammen. »Ich glaube, das ist der Sohn des Mannes, der Sumelis bis zur Grenze Menosgadas eskortiert hat.«
»Das würde bedeuten, er hätte eine Botschaft von Caran.«
»Anzunehmen.« Atharics Hand legte sich kurz auf ihren Rücken. Sie konnte die Sorge spüren, die wie eine Welle von ihm ausging. »Vielleicht ist es ganz gut, dass Hari nicht hier ist.«
Der Reiter war abgestiegen. Man konnte ihm und seinem Pferd ansehen, dass sie erschöpft waren und dass sein letztes Bad eine Weile zurücklag. Sein starker Schweißgeruch trieb mit der lauen Frühlingsluft zu ihnen herüber. Atharic ging zu ihm und drückte seinen Arm.
»Hattest du einen guten Ritt?«
»Einen erstaunlich schnellen. Zum Glück hat es die letzten zehn Tage nicht geregnet. Die Straßen waren trocken, und die Pferde, die ich zum Wechseln fand, ausgeruht und stark.« Der Mann wühlte in einem flachen Lederbeutel. Talia trat neben Atharic. Dass der Mann ihr nur kurz zunickte und sie nicht förmlich begrüßte, wie es die Gasttradition eigentlich verlangte, beunruhigte sie mehr als alles andere. Seine schmutzigen Finger fanden in dem Beutel, was sie suchten, und zeigten den Gegenstand Atharic.
»Mir wurde das von einem Boten aus Menosgada übergeben, der es wiederum von einem Boten aus Alte-Stadt bekam. Es hieß, ich solle es so schnell wie möglich zu Euch bringen.«
Es war ein einzelner Ohrring mit einer weißen Perle. Atharic und Talia hatten Sumelis ein solches Paar kurz vor ihrem Aufbruch nach Alte-Stadt geschenkt. Atharics Fingerspitze strich über die glatte Oberfläche der Glasperle, ohne jedoch nach dem Gegenstand zu greifen. Es war Talia, die ihn dem Boten entriss und mit zitternden Fingern in ihrer Handfläche barg.
»Was ist passiert?«
»Eure Tochter wurde entführt. Und niemand weiß, von wem.«
Sumelis blickte zu den Gipfeln der Berge empor, die zum Greifen nahe schienen, und fröstelte. In der Nacht war Schnee bis in tiefe Lagen gefallen und hatte die unteren Hänge mit einer im grauen Licht des bewölkten Himmels unfreundlich schimmernden Decke überzogen. Fast ein Monat war vergangen, seit Nando sie in Alte-Stadt bewusstlos geschlagen und entführt hatte, aber hier, am Rande des Gebirges, kämpfte der Frühling noch immer mit dem Winter.
Nando hatte sich Zeit gelassen auf dem Weg nach Süden. Sie bewegten sich noch immer im Gebiet der Vindeliker, zwar außerhalb dem der Runicaten, dem Zentrum von Carans Macht, andere vindelikische Stämme übten ihren Einfluss jedoch bis weit in die Gebirgstäler hinein aus. Daher waren sie nach wie vor nur nachts geritten, auf selten begangenen Pfaden und Wildwechseln, und hatten jeglichen Kontakt vermieden. Sogar vor Kindern, die Ziegen zum Äsen trieben, hatten sie sich verborgen. Einmal hatten sie sich fünf Nächte lang in einer Höhle versteckt, einem halboffenen, feuchten Loch, das aus mehr Erde und Dreck denn schützendem Fels bestand. Warum sie sich verstecken mussten, erfuhr Sumelis nicht.
Es war eine quälend sprachlose Zeit gewesen, gehüllt in Nandos Schweigen und zielgerichtete Kälte. Wenn sie nachts ritten, verbot er ihr jeden Laut, bei einigen Gelegenheiten hatte er sie sogar geknebelt. Seit er ihr die Haare abgeschnitten hatte, hatte er zwar kein zweites Mal Hand an sie gelegt, dennoch war Sumelis sorgsam darauf bedacht, ihn in keiner Weise zu provozieren. Sie tat, was ihr gesagt wurde, zügig und ohne Murren, schluckte die Fragen,
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