Der Fluch der Druidin
aber sie musste es auf jeden Fall versuchen. Sie zog die Beine an den Körper und richtete sich, eine Schulter gegen die Tür gestützt, auf. Langsam, mit zitternden Knien, drückte sie sich, soweit ihre Fesseln es zuließen, nach oben. Ihr Scheitel schabte über den Riegel. Sie spürte, wie er sich zu bewegen begann, doch nach zwei Fingerbreiten entglitt er ihr und fiel zurück. Aufschluchzend sackte Sumelis zu Boden.
Reiß dich zusammen!
Es reichte nicht. Ihre am Rücken gebundenen Hände waren an ihre ebenfalls gefesselten Knöchel gebunden, so dass sie sich nicht weit genug aufrichten konnte. Suchend sah sie sich um. Schließlich fiel ihr Blick auf ein paar alte Holzscheite an der Wand. Rollend und robbend bewegte sie sich über den Boden zu ihnen hinüber. Mit Hilfe ihrer Zähne, rot vom Blut ihrer aufgerissenen Lippen, mit Fingerspitzen, deren Nägel abbrachen, schaffte sie einen nach dem anderen zur Tür. Als sie sie schließlich unter dem Riegel zu einer doppelten Lage aufgeschichtet hatte, brauchte sie vier Anläufe, um ihren Körper auf sie zu hieven und wieder auf die Knie zu kommen. Sie hörte, wie der Stoff ihres Rocks hängenblieb und zerriss. Ihre Haut war unter dem warmen Umhang schweißnass, Dreck verfing sich in unzähligen kleinen Schürfwunden an Händen, Knien und Stirn. Ihre Brüste schmerzten vom Umherrollen auf dem harten, unebenen Boden, und sie blutete aus der Nase, die sie sich an einem Holzscheit gestoßen hatte. Sumelis musste innehalten und Kraft schöpfen, ehe es ihr gelang, sich wieder aufzurichten. Ein schweigendes Gebet zu irgendeinem Gott, der ihr zuhören mochte, dann reckte sie so weit wie möglich den Hals und bewegte den Riegel.
Mit einem lauten Knarren schwang die Tür auf. Sumelis verlor das Gleichgewicht und stürzte nach draußen, auf den feuchtkalten Boden vor der Hütte. Sie schlug schwer mit der Schulter auf, stöhnte, um dann einen Moment lang nur still zu liegen. Triumph und Erleichterung strömten durch ihre Adern und überlagerten die Schmerzen ihres geschundenen Körpers. In die Sonne blinzelnd, die matt durch eine dünne Wolkendecke schien, stellte sie fest, dass es mittlerweile Nachmittag war.
»Das war eine reife Leistung.«
Sumelis fuhr zusammen. Der Funke Hoffnung, der gerade noch nach Luft geschnappt hatte, flackerte und erlosch. Nandos Stiefelspitzen schoben sich in ihr Blickfeld.
»Von einem Krieger hätte ich erwartet, dass er so weit kommt, aber von einer Frau?«
Er löste ihre Fesseln. Alle Kraft wich aus Sumelis’ Körper, und sie sackte in sich zusammen, als hätte er nicht ihre Fesseln, sondern ihre Sehnen und Muskeln durchtrennt. Nando rollte sie auf den Rücken und untersuchte ihre Schürfwunden mit kundigen Händen. Seine Finger glitten erstaunlich sanft über ihre schwitzige, brennende Haut. Er ließ sie liegen, wo sie war, und verschwand hinter dem Grubenhaus. Sumelis rührte sich nicht, bis er wieder zurückkehrte und einen großen Krug Wasser herbeischleppte.
»Du kannst dich waschen, dann ruh dich noch kurz aus. Sobald es dunkel wird, reiten wir weiter.«
»Was ist mit deinen Verfolgern?« Sumelis’ Stimme war heiser. Am liebsten hätte sie geschrien und mit den Fäusten auf den Boden getrommelt, aber diese Genugtuung gönnte sie Nando nicht.
»Sie suchen dich noch immer. Ich habe ihnen eine falsche Fährte gelegt, die sie ein bisschen beschäftigen sollte. Trotzdem werden wir nur nachts reiten – auf Wildwechseln wie das letzte Mal –, bis wir die Berge erreichen. Das wird uns aufhalten, weil ich den Weg erst erkunden muss, aber auf diese Art gehe ich kein Risiko ein. Der Arm deines Großvaters ist lang.«
»Länger, als du denkst«, flüsterte Sumelis. Lauter sagte sie: »Hast du noch immer keine Angst? Kannst du dir eigentlich vorstellen, was sie mit dir tun werden, wenn sie dich erwischen?«
Es war das erste Mal, dass sie Nando richtig lachen hörte, ein knappes Geräusch, das schnell wieder endete. »Versuchst du etwa, mir Angst einzujagen, Mädchen? Verschwende nicht deinen Atem! Ich kenne keine Angst.«
Sumelis ließ den nassen Lappen sinken, mit dem sie sich das Gesicht abgerieben hatte. »Jeder Mensch kennt Angst.«
»Ich nicht.«
»Aber sie ist ein Teil von uns! Von unseren Seelen!«
»Auf eine solche Seele kann ich verzichten.«
»Dann bist du kein Mensch! Dann bist du weniger als ein Tier! Gefühllos, ohne, ohne …«
Nandos graue Augen verengten sich. Der belustigte Gesichtsausdruck, der soeben noch zwischen
Weitere Kostenlose Bücher