Der Fluch der Druidin
hin gegeben hatte. Allerdings nicht so sehr, weil sie glaubte, erfassen zu können, was er damit meinte, sondern weil sie sich von den Schmerzen in ihrem Rücken und Nacken ablenken wollte. Die gebückte Haltung, zu der sie gezwungen war, hatte ihre Muskeln verkrampfen lassen, und sie war todmüde. Sie wünschte sich nur noch, sich hinlegen und ausstrecken zu können. Als Kind hatte sie Geschichten über Reisende und Gefangene gehört, vom Kleinen Volk in dessen Welt verschleppt, keltische Sagen oder nordische Legenden über einen Helden, der in das Reich der über die Toten herrschenden Riesin vordrang, um seine Geliebte ins Leben zurückzuholen. In vielen dieser Geschichten hatten die Hauptfiguren wie sie einen Sack über dem Kopf gehabt, um nicht zu sehen, wie der Weg verlief. Diese Reisen waren immer voller Mühsal und Schrecken gewesen, voller Ungeheuer, Naturgewalten und feindlich gesinnter Götter und Dämonen. Niemals, dachte Sumelis verärgert, hatte irgendjemand es für nötig gehalten, darauf hinzuweisen, was für eine Folter alleine schon ein Ritt mit einem Sack über dem Kopf darstellte. Dabei hatte sie sich als Kind solche Abenteuer immer gewünscht. Manchmal hatte sie sich vorgestellt, von einem Königssohn oder einem Gott entführt zu werden, einer Gestalt, in Licht getaucht, mit einer Seele so gleißend hell, dass sie blendete. Niemals hatte Sumelis in ihrer Phantasie das Bild eines Mannes vor Augen gehabt, der in Schatten wandelte, umgeben von Zerstörung und dem lauernden Versprechen eines Kampfes, dessen Zweck sie nicht verstand.
Schließlich, nach einer Ewigkeit, die Sumelis wie drei Nächte am Stück erschien, hielten sie an. Sumelis lauschte auf Nandos Bewegungen, als er absprang und ein paar Schritte in den Wald hineintrat, um sich zu erleichtern. Ein paar Vögel sangen und flatterten aufgeschreckt von seinem Nahen davon. Wahrscheinlich graute mittlerweile der Morgen, und als Nando kurz darauf den Sack von ihrem Kopf zog, fand Sumelis ihre Vermutung bestätigt. Ein nebliges Grau schob sich zwischen die Dunkelheit der Bäume und kroch über die verlassene Köhlerhütte, die in der Mitte einer gerodeten, von hüfthohen Büschen überwucherten Lichtung stand.
Nando deutete auf die Hütte. »Vielleicht nicht der sauberste Ort, aber sicherlich der einsamste im weiten Umkreis.«
Nando erlaubte Sumelis, ein paar Schritte zu gehen und ihre verspannten Muskeln zu lockern. Als er sie schließlich in die Hütte brachte – ein Grubenhaus, dessen Wände von Ruß geschwärzt waren und mit einem festgestampften Boden aus Keramikscherben, Dreck, Holzkohle und Knochen kleiner Tiere –, war sie sogar zu erschöpft, um den Gestank zu bemerken, der aus der aufgegebenen Feuerstelle stieg und sich unter dem schrägen Dach sammelte.
Sumelis schlief den ganzen Vormittag über. Als sie nachmittags erwachte, stand eine Schale Wasser neben ihr, daneben lagen ein paar Streifen Trockenfleisch. Es gelang ihr, den Oberkörper trotz der Fesseln so weit vom Boden zu lösen, damit sie wie ein Tier das Wasser mit dem Mund schlürfen konnte. Gierig saugte sie es auf und knabberte zwischendrin an den Fleischstreifen, die zäh waren und nach Rauch und zu viel Salz schmeckten.
Nando kehrte am Abend nicht zurück. Sumelis schlief tief und fest und wachte noch vor dem Morgengrauen auf. Sie war noch immer allein. Mit einem Mal ergriff sie Furcht, dass Nando etwas zugestoßen sein könnte und sie hier liegen würde, bis sie verdurstete und starb. Wer sollte sie hier finden? Selbst wenn es Carans Männern gelang, Nando aufzuspüren und festzunehmen: Würde er ihnen verraten, wo er Sumelis versteckt hatte? Oder würde sie erst gefunden werden, wenn die Mäuse an ihren Knochen nagten?
Es wurde Zeit, dass sie etwas unternahm.
Sumelis strampelte die Decke von sich, spannte den Körper und wälzte sich ächzend herum. Ihr Gesicht und Haar schleiften durch den Dreck in der Feuerstelle, aber es gelang ihr, bis vor die Tür der Hütte zu rollen, wo sie einen Moment lang keuchend liegen blieb. Die Tür schloss nicht mit dem Boden ab, daher fiel Licht ins Innere und ließ sie den Riegel erkennen, der die Tür verschloss. Es handelte sich um einen schmalen Holzbalken, der sowohl von innen wie auch von außen betätigt werden konnte, verbunden durch einen Stift, den man durch einen Spalt in der Tür nach oben und unten bewegen konnte. Sumelis konnte nicht wissen, ob Nando nicht noch eine weitere Sicherung von außen davorgelegt hatte,
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