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Der Fluch der Druidin

Der Fluch der Druidin

Titel: Der Fluch der Druidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Jaeckel
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Tollgeister ihn geholt?«
    »Nein. Ich.« Nando stand auf und klopfte sich Rindenspäne von der Kleidung.
    »Wieso hast du ihn getötet?« Sumelis konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass eine Begegnung mit einem von bösen Geistern besessenen Wolfsrudel womöglich friedlicher ablief als eine mit Nando.
    »Er wollte für sein Schweigen bezahlt werden, damit er niemandem erzählt, dass er einen Nordmann getroffen hat. Ich wollte ihm nicht die Zunge herausschneiden, somit blieb nur sein Tod.«
    Sumelis starrte ihn an. Sie fragte sich, ob er nur mit ihr spielte, ob er versuchte, ihr Angst einzujagen, und im nächsten Atemzug fragte sie sich, weshalb sie eigentlich nicht glauben wollte, dass er jedes gleichgültige Wort ernst meinte. Nando schien ihre Gedanken zu lesen.
    »Glaubst du mir nicht?«
    »Nein, ich halte dich für einen guten Menschen«, zischte sie. »Durch und durch barmherzig! Wie du gesagt hast!«
    Sein plötzlich aufflackerndes Lächeln verunsicherte sie. »Setz dich an den Baumstamm!«, forderte er sie nicht unfreundlich auf. »Wenn ich dich dort fessele, kann ich die Riemen etwas lockerer lassen.«
    Er band sie an den Stamm, dann machte er sich daran, die Pferde zu versorgen, die nach dem langen Ritt durch die Nacht mit hängenden Köpfen dastanden und lustlos an ein paar Blättern zupften. Sumelis lehnte den Nacken gegen die morsche Rinde des Stamms und nickte bald darauf ein. Ihr Kopf rollte zur Seite. Als sie die Augen schließlich wieder aufschlug, brach sich das Mittagslicht auf einem schmalen Gegenstand, dessen Spitze eine Beinlänge entfernt zwischen den weißen Blüten junger Walderdbeeren hervorlugte.
    Sumelis zog scharf den Atem ein. Hastig sah sie sich um, doch von Nando war weit und breit nichts zu sehen. Wahrscheinlich war es der Dolch des Mannes, den Nando im Winter getötet hatte. Er war zwischen die Sträucher gefallen, ohne dass Nando es bemerkt hatte, und lag seitdem dort, gehüllt in die Reste einer dünnen Lederscheide, deren Spitze bereits fehlte.
    Sumelis verdrehte den Oberkörper und streckte das rechte Bein aus. Schon beim ersten Versuch gelang es ihr, den Dolch zu bewegen. Ihr Rücken schmerzte, und ihr Knie protestierte, weil sie es so verdrehte, aber wenig später lag die Klinge in ihrer Hand. Schnell säbelte sie ihre Handfesseln durch, ebenso die Fußfesseln und die Riemen, die sie an den Baumstamm banden. Bevor sie jedoch aufspringen konnte, schoss zwanzig Schritt entfernt ein aufgescheuchter Vogel schimpfend aus dem Wald hervor und verkündete somit Nandos Nahen.
    Hektisch drapierte Sumelis ihre Fesseln erneut um ihre Knöchel, damit Nando nicht auf den ersten Blick erkennen konnte, dass sie durchschnitten waren. Sie winkelte die Knie an, um schnell aufspringen zu können, gleichzeitig bemühte sie sich um einen teilnahmslosen Gesichtsausdruck und eine entspannte Haltung. Nando warf ihr nur einen flüchtigen Blick zu, als er näher trat und sich nach seinen Taschen bückte. Er wandte ihr den Rücken zu, so dicht neben ihr, dass sie nicht einmal aufspringen musste, um ihn zu erreichen. Sie musste sich nur nach vorne werfen und den Dolch in einer geraden Bewegung in seinen Rücken stoßen, ihr volles Gewicht dahinter, um ihn zu töten. Sie könnte ihm den Dolch von hinten direkt ins Herz stechen. Ihr Vater hatte ihr einmal gezeigt, wohin sie zielen musste: knapp unter dem linken Schulterblatt hindurch, wo die Lücke zwischen den Rippen am weitesten war, eine Handbreit vom Rückgrat entfernt.
    Sumelis spürte, wie ihre Finger schweißnass wurden. Allein die Vorstellung, wie der Dolch Nandos Herz durchbohrte, ließ ihre Hände zittern, und ihr wurde klar, dass sie das nicht schaffen würde.
    In die Schulter,
dachte sie mit sich überschlagenden Gedanken,
damit er verletzt ist und mir nicht folgen kann.
Ihr Blick glitt hinüber zum angrenzenden Waldstück, zwischen dessen von Schatten ausgefüllten Stämmen und Kronen keinerlei Bewegung zu erahnen war. In den Wald und auf der anderen Seite hinaus, bis sie den Weiler erreichte, dann konnte er ihr nicht zu Pferd folgen. Lieber nahm sie es mit irgendwelchen Geistern auf, so tollwütig sie auch sein mochten, als dass Nando sie einholte.
    Sumelis hinterfragte nicht, weshalb sie Nando nicht töten konnte. Sie konzentrierte sich auf ihr Ziel, auf die Bewegungen von Nandos Schulter, mit denen er Getreide aus einem Beutel in eine Schüssel füllte. Sie hörte das Geräusch der rieselnden Körner, das trällernde Pfeifen, das seine

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