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Der Fluch der Druidin

Der Fluch der Druidin

Titel: Der Fluch der Druidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Jaeckel
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daher, wie gefährlich es war, im Winter alleine die Pässe zu überqueren, und das nicht nur wegen unberechenbarer Naturgewalten. Es war ein Wagnis, das man nicht ohne guten Grund einging, dennoch weigerte sie sich diesmal, weiter über ihren Entführer, seinen Auftrag und die irritierende Selbstsicherheit, die er an den Tag legte, nachzudenken. Vielmehr kreisten ihre Gedanken darum, was es bedeuten würde, wenn sie erst das Gebirge überschritten hatte. Würde sie jemals zurückkehren? Wer sollte sie dann noch finden, so nahe an Italien und so weit von ihrem eigenen Volk entfernt? Carans Arm mochte lang sein, dennoch endete er irgendwo in den Bergen, die sich in majestätischer Gleichgültigkeit vor ihr erhoben, ein Riegel aus Fels, Eis, unvorhersehbarem Wetter und Stämmen, so unerbittlich wie das Land, das sie hervorgebracht hatte.
    Was ist mit Mutter und Vater? Werden sie mich suchen, wenn sie erfahren, dass ich verschwunden bin? Weiß Mutter überhaupt, dass ich noch lebe? Würde sie meinen Tod spüren, selbst wenn ganze Gebirgszüge zwischen uns liegen?
    In einem Anflug von Verzweiflung griff Sumelis mit ihrer Seele aus, warf sie hinaus in die Weite auf der Suche nach den Farben, die ihr so vertraut waren wie keine anderen. Doch ihre Seele war an ihren Körper gebunden und konnte nicht auf dem Wind nach Norden reiten, über den Danuius und Alte-Stadt hinweg nach Menosgada, über das Bergland und weiter, bis sie ihre Heimat und den Hof ihrer Eltern erreichte. Die Farben der Seelen ihrer Familie – das von goldenen Fäden durchwobene Blau Talias und das Azurblau Atharics – leuchteten nur noch in ihrer Erinnerung, ein fernes Versprechen von Geborgenheit, das von Nacht zu Nacht mehr verblasste. Und Sumelis begriff, dass sie, wenn sie Nando entkommen wollte, nicht darauf warten durfte, bis sich ihr eine Chance bot. Sie musste sich eine schaffen.
    Sie lagerten am Rande eines Waldes, dem ein zweites Wäldchen, eingezwängt zwischen eine Bergflanke und einen Bach, gegenüberlag. Auf ihrer Seite war ein breites Stück Gehölz durch Brandrodung verschwunden, hier zog sich auf freier Fläche mitten im Niemandsland ein Zaun aus Weidengeflecht, Haselnuss und Brombeere bis hin zum Bach.
    Sumelis deutete auf den Zaun. »Soll ich mich gleich selbst knebeln, oder darf ich vorher noch was essen?«
    »Das hat nichts zu bedeuten. Die Menschen, die diesen Zaun gezogen haben, kommen nie hierher. Sie wohnen auf der anderen Seite des Waldes, weit genug entfernt, um auch deine lautesten Schreie nicht zu hören.«
    »Wozu dann der Zaun?«
    »In dem Wald dort drüben«, Nando wies, ohne sich umzudrehen, mit dem Daumen über die Schulter, »herrschen Tollgeister.«
    »Tollgeister?« Nando hatte nach einem passenden Wort gesucht und es zuerst auf Kimbrisch – einer Sprache, die der Atharics ähnlich war – gesagt. Sumelis verstand den zweiten Teil des nordischen Wortes, den ersten verstand sie jedoch erst, als Nando kurz darauf eine passende Übersetzung im Helvetischen fand.
    »Tollgeister.« Nando nickte nachdrücklich. »Das sind Dämonen, die in den Geist eines Tieres – eines Wolfes, Fuchses – eindringen und sein Wesen zerstören. Sie sind gefährlich, ihr Biss tödlich. Ich habe einmal einen Mann am Biss eines Fuchses, der besessen war, sterben sehen. Es war ein grauenhafter, hässlicher Tod. Eine Zeitlang dachten wir, er würde sich selbst in ein Tier verwandeln, einen Wiedergänger. Am Ende musste ihn sein eigener Bruder töten.«
    »Und die Menschen hier meinen, mit dem Zaun diese Tollgeister aufhalten zu können?«
    »Mit dem Zaun und mit Hilfe des Bachs. Tollgeister mögen kein Wasser.«
    »Woher weißt du das alles?«
    Nando zuckte mit den Achseln. Er war gerade dabei, mit seinem Messer die Rinde von einem dünnen Ast zu schälen, und deutete nun mit der Klingenspitze auf einen Punkt hinter Sumelis. Sie drehte sich um. Einen Moment lang wusste sie nicht, was Nando meinte, dann sah sie den Oberschenkelknochen, der halb aus der feuchten Erde neben einem umgestürzten Baumstamm ragte. Aufgeworfene Erde und Zahnspuren zeugten davon, dass sich Tiere an einer Leiche genährt hatten, die jemand in dem Loch, das der umgestürzte Baum in die Erde gerissen hatte, verscharrt hatte. Der Knochen schimmerte noch hell und frisch. Er konnte noch nicht lange dort liegen und der Witterung und den Bodeneinflüssen ausgesetzt sein.
    »Wer war das?«
    »Einer der Bewohner des Weilers, von dem ich eben sprach.«
    »Haben die

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