Der Fluch der Druidin
zurückverlangen.«
»Das soll wohl heißen, dass Boiorix noch immer ihr König ist?«
»Ja, das heißt es. Und seine Macht ist so groß wie nie zuvor.«
Atharic stieß einen Fluch aus, der Samis die Schamesröte ins Gesicht trieb. Atharic war damals, als er und sein kleiner Stamm beschlossen hatten, in den Norden zurückzukehren und nicht mit den Kimbern weiterzuziehen, als Feind von Boiorix und den Kimbern geschieden. Boiorix hatte ihn einen Verräter genannt, einen Feigling, im Grunde hatte jedoch schon immer eine tiefe Abneigung zwischen Atharic und dem Mann geherrscht, dessen Schwester er einst geheiratet hatte. Als Atharics Frau ihn dann mitsamt ihren gemeinsamen Kindern verließ, um einen tauriskischen Fürsten zu heiraten, zerbrach auch das letzte familiäre Band, das Atharic und Boiorix verbunden hatte, und ihre Feindschaft war aufgeflammt wie ein Waldbrand, der zu lange unter trockenem Reisig geschwelt hatte.
»Wenn wir Sumelis erst nahe genug sind, werden wir sie auch finden!«, sagte Talia mit aller Bestimmtheit, die sie aufbringen konnte. »Oder sie uns.«
»Glaubst du denn, dass eure Gabe euch zueinander führen wird?« Samis hatte die ganze Zeit über geschwiegen und den Blick kaum von ihrer älteren Schwester wenden können. Jetzt, da sie annahm, das Wichtigste wäre besprochen, gab sie ihrer eigenen Neugierde nach. »Wäre das möglich?«
»Vielleicht. Wenn wir uns nahe genug sind.«
»Und wenn nicht? Könntest du dann Nordmänner so befragen, wie du heute den Druiden befragt hast? Sie dazu zwingen, euch etwas zu verraten?«
»Nur einen Nordmann, der eine etwas zu phantasievolle Vorstellung von dem hat, was ich mit ihm tun könnte.«
Samis’ zart geschwungene Brauen zogen sich zusammen. »Heißt das, du hast den Druiden mit Hilfe seiner Angst vor deiner Gabe ausgefragt, nicht mit deiner Gabe an sich?«
»Das stimmt.«
»Du hast ihm etwas vorgemacht?«
»Ja, genau. Ehrlich gesagt, hätte ich gar nicht gewusst, wie ich ihn mit meiner Gabe zum Reden hätte bringen können. Meine Fähigkeiten sind sehr begrenzt, wenn es um das direkte Beeinflussen von Seelen geht. Meine Macht ist längst nicht so groß wie die von Sumelis, und ich kann sie auch weniger gut kontrollieren. Daher war das heute nichts als Blendwerk.«
»Und bei Sumelis wäre es echt gewesen?«
»Nein, Sumelis hätte heute dasselbe getan wie ich.«
Sie wäre nur weniger überzeugend gewesen.
Seufzend fügte Talia hinzu: »Sumelis würde ihre Macht nur im allergrößten Notfall gegen einen Menschen einsetzen.«
»Das bedeutet aber auch, Sumelis könnte sich mit ihrer Gabe verteidigen?«
»Sie ist auf jeden Fall stärker als ich.«
»Was könnte sie tun?« Samis griff nach einem Fladen und knabberte an dessen Rand, ohne nach Butter, Käse oder Wurst zu greifen, die Catuen gerade herbeibrachte. Es gelang ihr einfach nicht, ihre Neugierde hinunterzuschlucken, und dieser Eifer war es, der Talia wie nichts sonst für ihre kleine Schwester erwärmte. »Wie, zum Beispiel, kannst du eine Seele beeinflussen, Talia?«
»Zu Verteidigungszwecken?«
»Ja. Nein. Irgendwie. Nein, nicht Verteidigung! Sag mir, was du jeden Tag tun kannst oder was du öfters tust. Ein Tag im Leben einer Druidin.« Samis lachte unsicher.
Talia neigte den Kopf zur Seite und dachte einige Augenblicke lang nach. Ihr Magen knurrte, aber sie ignorierte ihren Hunger. Die anderen sahen sie nicht minder gespannt wie ihre Schwester an. Trotz ihrer Sorge und Anspannung begann ein Lächeln Talias Mundwinkel zu umspielen. »Egal was?«
»Ja, egal wie und was. Gib mir ein Beispiel! Ich würde mir einfach gerne vorstellen können, was du tust.«
»Nun, da gibt es schon etwas …«, begann Talia gedehnt.
»Ja? Was?«
»Nun, wenn ich zum Beispiel mit Atharic schlafen möchte, kann ich in seiner Seele die Erinnerung an seine Lust auf mich – äh, wecken. Seine Seele erinnert sich an diese Gefühle, und sein Körper reagiert entsprechend, bis er … ihr wisst schon.«
»Und das klappt?« Catuen war so verblüfft, dass sie beinahe den Korb mit den Fladen fallen ließ.
»Eigentlich immer, egal was er gerade tut. Selbst wenn er ärgerlich ist und niemals von selbst auf die Idee kommen würde, in diesem Augenblick mit mir schlafen zu wollen.«
Catuen klatschte begeistert in die Hände. Bei ihrem unterdrückten Kichern konnte auch Talia sich nicht mehr zurückhalten und gestattete sich ein breites Grinsen. Die Männer konnten ihr Vergnügen jedoch weniger
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