Der Fluch der Druidin
damals in der Lage gewesen, Dago mit ihrer Gabe zu töten, weil sie ihn gehasst hatte wie keinen anderen auf der Welt. Es waren ihre dunklen, alles verbrennenden Gefühle gewesen, die sie in eine Waffe verwandelt hatten, todbringender als jeder Pfeil. Sumelis dagegen, ihr kleines Mädchen, das aufgewachsen war im Bewusstsein, geliebt zu werden, das niemals gelernt hatte zu hassen, verfügte über diese Waffe nicht. Sumelis kannte keine Angst, keine blindwütige Verachtung, keine jahrelang gepflegte Abscheu, sie hatte niemals gelernt, Bitterkeit zu zelebrieren, und daher besaß sie auch nicht die Kraft, sich selbst und alles, was mit ihr verbunden war, zu vernichten – jene selbstzerstörerische, aus der eigenen Finsternis geborene Macht, die man benötigte, um das zu tun, was Talia einst getan hatte.
Manchmal war es Talia wie ein Wunder erschienen, dass aus alldem tatsächlich etwas Gutes erwachsen war, dass ihre eigene Geschichte ein Ende gefunden hatte, welches die Schatten hinter sich ließ und in ein Licht trat, das Sumelis’ Namen trug. Aber sie hatte sich geirrt: Es war kein Ende, nicht einmal die Illusion davon. Kein Fluss, kein Bach verschwand im Nichts. Das Wasser bahnte sich einen Weg, bis es irgendwann wieder an die Oberfläche trat, reißender und kälter als jemals zuvor.
Wie hatte sie zulassen können, dass Dago sie noch immer so verfolgte?
Es ist mein Fehler. Ich dachte, Dagos Tod hätte es beendet. Aber es ist nicht zu Ende. Ich habe es weiterleben lassen – in mir und in einer Lüge.
Was für ein Feigling sie doch war! Auch nach all den Jahren, die sie Sicherheit hätten lehren sollen, steckte in ihr noch immer das Mädchen von früher, dem die Gnade kindlichen Vertrauens verwehrt worden war und das niemals gelernt hatte, ein Leben zu leben, das unbeschwert vom Angesicht der Vergangenheit war.
An diesem Abend, kurz bevor sie zu Bett gingen, nahm Caran Talia beiseite. »Du hast Atharic nie erzählt, was damals zwischen Dago und dir passiert ist, nicht wahr?«
Sie schüttelte den Kopf.
Caran pfiff leise durch die Zähne. »Ich werde dich jetzt nicht fragen, warum. Aber beantworte mir eines: Du hast mir nie gesagt, ob du sicher weißt, dass Atharic Sumelis’ Vater ist.«
Talia schwieg. Sie knabberte an ihrer Unterlippe und spürte, wie ihr trotz der Kühle der Nacht der Schweiß ausbrach. Mit hängendem Kopf flüsterte sie: »Er ist ihr Vater in allem, was zählt. Und wenn es da noch etwas anderes gibt, wird er es zuerst erfahren – von mir oder von Sumelis. Bitte misch dich da nicht ein.«
Caran zögerte, sein angehaltener Atem erschreckend laut in der Stille, die sich über das Haus gelegt hatte. Schließlich seufzte er und küsste sie auf den Scheitel. »Das werde ich nicht. Ich hoffe nur, du weißt, was du tust.«
4 . Kapitel
M ein König, Ihr werdet nicht versagen.«
»Ich weiß. Aber der Traum war so wirklich! Ich konnte meinen Körper sehen, die ledrige Haut, die in Fetzen herabhing, meine Kochen, auf denen sich der Mond spiegelte.« Boiorix nahm einen großen Schluck des Tranks, den die Priesterin ihm reichte. »Bei Donars Faust, ich konnte sogar den Gestank meines verwesenden Fleisches riechen!«
Rascil nahm ihm den Becher aus der Hand und krümelte noch mehr Kräuter hinein, bis sich das Gebräu gelblich grün färbte. Boiorix hatte keine Ahnung, um was für Kräuter es sich handelte, doch er stellte keine Fragen. Hauptsache, sie halfen. Hauptsache, sie gaben ihm seinen Schlaf zurück.
Dunkle Ringe lagen unter den Augen des Kimbernkönigs. Die Mundwinkel waren unter dem gestutzten Vollbart nach unten gezogen. Leichte Falten zeigten sich auf seiner sonst glatten Stirn über den fast geraden Augenbrauen – ein Erbe der rasenden Kopfschmerzen, die sein Erwachen nun jeden Morgen begleiteten. Niemand wusste genau, wie alt der Kimbernkönig war: die Älteren behaupteten, beinahe fünfzig, die Jüngeren sagten, um die vierzig. Unzweifelhaft war nur, dass das Grau in seinem Bart neu war.
»Ich hätte der verdammten Hexe den Hals umdrehen sollen!«
»Das hättet Ihr.« Rascil nickte nachdrücklich, während sie ihm den Becher zurückreichte. »Ihre Dreistigkeit hätte gesühnt werden müssen!«
»Wenn ich das getan hätte, wäre das Bündnis mit den Tigurinern auf der Stelle zerbrochen. Und wer weiß, wozu wir sie noch brauchen werden? Ich habe lieber Verbündete als Feinde im Rücken.« Boiorix spürte, wie er ruhiger wurde. Entweder wirkte der Trank, oder die Schrecken der
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