Der Fluch der Druidin
mästen.«
»Gehört das alles zu einem einzigen Stamm?«
»Nein, zu verschiedenen. Hier sind es die Cenomanen, weiter östlich die Veneter, im Westen die Insubrer. Und das sind nur die, deren Gebiete wir gestreift haben oder noch durchqueren werden. In ein paar Gegenden schienen die Einheimischen zu begrüßen, dass wir sie vom Joch der Römer befreiten, andere stellten sich gegen uns, wenn auch mehr im Stillen denn im offenen Widerstand. Es mag Bündnisse, Verträge unter diesen Stämmen und zwischen ihnen und Rom geben, aber die Furcht vor uns ist eine ebenso starke Herrschaft.«
»Ein Jahr in einem Land zu leben, das einem nicht gehört, Ernten, Dörfer, gar Städte zu plündern, macht noch keine Herrschaft aus«, wandte Sumelis ein. Dann, als Nando nichts erwiderte, fügte sie hinzu: »Die Römer müssen sehr mächtig sein, wenn sie solche Straßen derart weit entfernt von ihrer Heimat errichten können.«
»So mächtig offenbar auch wieder nicht, sonst wären wir ja wohl jetzt nicht hier. Allerdings gebe ich gerne zu, dass diese Straße unser Vorankommen letztes Jahr sehr erleichtert hat.« Nando grinste spöttisch, doch selbst sein abfälliger Ton konnte seine Faszination nicht ganz verbergen.
Beinahe ehrfürchtig drängte Sumelis ihr Pferd auf die leicht gewölbte, von Entwässerungsgräben flankierte Straßendecke. Schlaglöcher taten sich vor ihr auf, einige wenige waren mit frischem Kies aufgefüllt, die meisten jedoch nicht. Auch in Alte-Stadt gab es mit Kies und Kalksteinen befestigte Wege oder Plätze, etwas Vergleichbares wie diese bis zum Horizont reichende Straße hatte Sumelis trotzdem nie zuvor gesehen. Insbesondere da sie sich vorstellen musste, wie ein solches Netz aus Sonnenstrahlen gleichen Wegen ganz Italien durchschnitt: von einem Meer zum anderen, bis Rom und darüber hinaus. Und wie sollte sie sich die steinernen Brücken vorstellen, von denen Nando sprach? Sumelis kannte hölzerne Brücken, auf denen gar Fuhrwerke Platz hatten, aber aus Stein gebaute? Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Dabei fiel ihr Blick auf eine hoch aufgerichtete Steinsäule mit eingeritzten Schriftzeichen auf der anderen Straßenseite. In der Sonne trocken gebleichtes Moos hatte begonnen, sich in den Ritzen festzusetzen.
»Was ist das für eine Säule?«, fragte Sumelis. »Was bedeuten die Zeichen darauf?«
»Es sind Entfernungsangaben.«
»Du kannst sie lesen?«
»Nein, aber das heißt nicht, dass ich den Zweck dieser Säule nicht verstehe.«
»Werden wir dieser« – Sumelis probierte das unvertraute Wort – »Via Postumia folgen?«
»Nein.« Nando wendete sein Pferd. »Sie würde uns zu weit nach Süden führen. Außerdem ist diese Straße nicht sicher für uns. Es ist besser, wenn wir einen anderen Weg wählen.«
Also hatten sie die römische Straße zu ihrer Linken am Horizont verschwinden lassen und ritten nun durch ein von Eichenmischwäldern bedecktes Land, in dessen Norden sich ein großer See und die Berge im Dunst verloren. Später schwenkten sie weiter nach Süden, wo die Landschaft durch menschlichen Einfluss offener wurde und sie der ausgedehnten Spur folgten, die der Zug der Kimbern in die Landschaft gerissen hatte: entlang den Resten zertrampelter Getreidefelder und brauner Weiden, über denen sich ein blass erscheinender Himmel wölbte, vorbei an von Unrat verschmutzten Wasserstellen, abgeholzten Baumstümpfen und von Tausenden von Rädern eingetieften Fahrspuren. Zwischen alldem …
… Kreischen.
Fluchend zügelte Nando sein Pferd, als vor ihm aus dem Boden plötzlich eine Gestalt zu wachsen schien. Trotz der Hitze trug sie eine verfilzte Decke um die Schultern sowie ein langes Überkleid, dessen Saum eingerissen und voller Staub war. Das Kreischen der gebeugten Frau, während sie ihnen spuckend Worte entgegenschleuderte, die nur Verwünschungen sein konnten, erschreckte die Pferde. Mit angelegten Ohren scheuten sie vor dem Lärm und den heftigen Bewegungen zurück und tänzelten, sich gegen den Zug der Zügel wehrend, zur Seite. Nandos Pferd bäumte sich auf. Die Hufe zielten nach der Alten, doch Nando drängte die Stute wieder nach unten. Er brüllte der Frau zu, den Weg freizugeben, aber wahrscheinlich verstand sie ihn nicht einmal. Ungeachtet der auf sie gerichteten Lanzen bückte sie sich, griff nach Dreck und Steinen und begann, die Reisenden damit zu bewerfen. Nando fing einen Stein vor sich aus der Luft, kurz darauf presste er seinem Pferd die Fersen in die Flanken. Die
Weitere Kostenlose Bücher