Der Fluch der Druidin
sich Eures Vertrauens zu versichern, ist er vielleicht doch ein besserer Mann, als ich dachte.«
Keuchend blieb Talia stehen und blickte zurück. Sie konnte den Pfad zum Pass hinauf unter sich erkennen: die engen Windungen zwischen Sträuchern und zwergenhaften Bäumen, dann der Talboden, der sich zu ihrer Rechten inmitten der aufragenden Berghänge hin erstreckte. Diesen Weg waren sie gekommen, und obwohl sie seit ihrem Kampf keine Verfolger mehr bemerkt hatten, hatten sie die Pferde und sich selbst bis zum Äußersten getrieben.
Nun, mit diesem Passanstieg, lag das Gebiet der Suaneten endgültig hinter ihnen. Noch weitere sechshundert Höhenfuß, danach würde es nur noch bergab gehen, durch das Gebiet der Lepontier bis zur Ebene des Padus’. Zu Sumelis. Und zu den Kimbern.
Talias Pferd stieß sie mit dem Kopf an, und gehorsam setzte sie sich in Bewegung. Über ihr war Atharic bereits eine Kurve weiter, noch weiter oberhalb flossen träge Wolkenfetzen über die Höhe des Passes hinweg, verbargen alles hinter einem gräulichen Schleier. Obwohl kaum Wind ging, war es kalt, und der Himmel zog immer mehr zu. Der abkühlende Schweiß auf Talias Haut zwang sie, ihren Schritt zu beschleunigen, um sich warm zu halten. Ihr Pony trottete mit gesenktem Kopf hinter ihr her.
»Was machst du?«, rief sie zu Atharic empor, der stehen geblieben war und vornübergebeugt an seiner Kleidung nestelte.
»Den Gürtel enger!«, bekam sie zur Antwort, die sie trotz schmerzender Füße und tiefer Erschöpfung lachen ließ. Atharic hatte während der Reise an Gewicht verloren; sein Körper war nun wieder der des Söldners von vor zehn Jahren. Sogar seine Haltung schien aufrechter, kraftvoller geworden zu sein. Atharic sprach nicht darüber, aber manchmal hatte sie den Eindruck, er war noch lebendiger als sonst.
Der Wolf wird wieder zum Wolf und legt die Leinen der Bauernschaft ab. Man könnte meinen, ihm gefällt das Ganze.
Ein vindelikischer Kindervers kam ihr in den Sinn, den sie oft mit Sumelis gesungen hatte:
Wölfe, Wölfe, Wölfe im Wald,
Gehetzt wird jetzt, versteckt euch bald!
Wölfe, Wölfe, Wölfe im Wald,
Gejagt verzagt, es gibt kein Halt!
»Was ist das denn?«
Unbewusst hatte Talia den Vers leise vor sich hinskandiert. »Ein alter Kinderreim. Sumelis und ich haben dazu früher oft Fangen gespielt.«
»Lass mich raten: Du warst immer der Wolf?«
»Das dachte ich zumindest. Bis Sumelis fragte, ob das Lied von Wölfen auf der Hatz gesungen wird oder von Jägern, die die Wölfe jagen.«
»Eine gute Frage.« Atharics Stimme schwankte zwischen Belustigung und Nachdenklichkeit. Kurz darauf wiederholte er murmelnd: »Eine wirklich gute Frage!«
Wenig später begann es zu nieseln.
»Das gefällt mir nicht!«, brummte Atharic, einen Tropfen von den Wimpern blinzelnd. »Wir werden am Pass bei dem Wetter keine Pause einlegen können. Wir müssen sehen, dass wir nach unten kommen.«
»Sollen wir umkehren?«
»Nein, wir gehen weiter. Wer weiß, wann das Wetter besser wird. Außerdem dachte ich eben, ich hätte unten im Tal etwas aufblitzen sehen.«
»Was?«
»Sonnenstrahlen auf Eisen.«
Die Aussicht, noch einen weiteren Kampf mit den Suaneten bestreiten zu müssen, trieb sie an, und so erreichten sie erstaunlich schnell die Passhöhe. Hier oben war der Regen in Schnee übergegangen, nasse Flocken, die sofort in ihren Haaren und auf ihrer Kleidung schmolzen und die Sicht bis auf dreißig Schritt begrenzten. Von den Gipfeln, die links und rechts aufragten, sahen sie nichts, nur die von Felsen überzogene unebene Passhöhe und das leicht gekräuselte Wasser eines kleinen Sees.
»Wo ist unser Weg?«
Atharic deutete wortlos auf eine Markierung aus gestapelten Steinen zu ihren Füßen. Die Pferde am Zügel führend, setzten sie vorsichtig ihren Weg fort, vorbei an Felsen, über kleinere Erhebungen hinweg, immer tiefer, wie es schien, in das Schneetreiben hinein. Schon nach kurzer Zeit wurde die Sicht so schlecht, dass es unmöglich war, weiterhin die kleinen Steinmarkierungen zu erkennen. Der Schnee hörte auf, auf ihren Wimpern zu zerfließen, und begann, eine dünne Schicht auf dem Boden zu bilden. Atharic beschloss, dass sie nun doch rasten würden, bis die Sicht wieder besser wurde, andernfalls drohten sie in dem unwegsamen und immer glatter werdenden Gelände ziellos umherzuirren. Sie fanden eine Stelle, wo einfallendes Gestein ein paar Handbreit Schutz bot. Die Pferde zogen sie so dicht an sich heran, wie das
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