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Der Fluch der falschen Frage

Der Fluch der falschen Frage

Titel: Der Fluch der falschen Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lemony Snicket
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musste und dass das schwappende Wasser schon an ihrem Kinn leckte. Sie würde ertrinken. Moxie stellte ihre Schreibmaschine neben der Tür ab und wollte die Treppe hinunterlaufen.
    » Nein«, rief ich laut gegen das Wasserrauschen an und packte sie an der Schulter.
    » Wir müssen ihr helfen!« Moxies Augen unter der Hutkrempe blitzten mich an.
    » Aber nicht so!« Ich überlegte fieberhaft. An der Rückwand des Kellers sah die Oberkante eines Fensters gerade noch aus dem Wasser hervor. Ich bückte mich und hob das eine Ende des lexikongroßen Steins an. » Hilf mir«, sagte ich. » Mit einem Stein eine Scheibe einschlagen kann jeder.«
    Wir hoben den Stein hoch und schwangen ihn in Richtung Fenster. Steine werfen macht mehr Spaß, wenn es egal ist, wo sie landen, aber sowohl Fenster als auch Stein waren so groß, dass es nicht allzu schwer war zu treffen. Die Scheibe zerbrach mit einem gedämpften Klirren, und sofort begann der Wasserspiegel zu sinken, als hätten wir einen Stöpsel gezogen. Mrs Sallis schrie unentwegt weiter, auch als der Pegel so weit gesunken war, dass wir die Stufen hinunterwaten und sie losbinden konnten. Die Knoten waren irgendwelche Spezialknoten, aber Moxies Finger waren geschickt– geschickter als meine, um die Wahrheit zu schreiben.
    Ich überließ das Losbinden ihr und platschte hinüber zur Quelle des Wassers, das immer noch fröhlich weitersprudelte. Es sprudelte aus einem Behälter hinten in der Ecke, der breit genug war, um einen erwachsenen Mann zu beherbergen, falls ein erwachsener Mann das gewollt hätte. Der Behälter war aus grauen Ziegelsteinen gemauert mit einem langen rostigen Hebel daneben. Der Hebel ließ sich widerstandslos umlegen, und das Wasser versiegte prompt. Offenbar floss eine unterirdische Quelle unter dem Haus. Es war ein Kellerbrunnen, der von einer simplen, aber schlau konstruierten Pumpe beliefert wurde. Schau an, schau an, dachte ich. Kein Wunder, dass die Wissenschaftsreporter hier ihre Studien betrieben hatten.
    Mrs Sallis war an einen Stuhl gefesselt, den ich aus der Bibliothek wiedererkannte. In seinen dicken aufgequollenen Polstern steckte kein Fünkchen Leben mehr. Von Mrs Sallis ließ sich das nicht behaupten. Kaum hatte Moxie ihre Hände befreit, riss sie sich auch schon die Augenbinde ab, worauf sie sich eigentlich hätte beruhigen müssen, dachte ich. Stattdessen wurde sie zum Tier, ein Ausdruck, der mir schon immer gefallen hat, obwohl kein Tier jemals so gekreischt haben kann wie Mrs Sallis.
    » Wo ist er?«, kreischte sie.
    » Wer?«, fragte Moxie.
    » Hier ist niemand«, sagte ich, aber das war offenbar die falsche Antwort. Ihre Augen traten aus den Höhlen, und die Panik von vorher war nichts gegen die Panik jetzt.
    » Raus hier!«, kreischte sie. » Verlasst sofort dieses Haus!«
    » Sollten Sie nicht lieber sagen: ›Danke, dass ihr mich gerettet habt‹, Mrs Sallis?«, fragte ich.
    Moxie warf mir einen eigenartigen Blick zu. » Das ist nicht Mrs Sallis«, sagte sie.
    Das Wasser stand immer noch so hoch, dass ich bis zu den Knien durchweicht war. Wenn jemand mich foltern wollte, um mir eine entscheidende Information abzupressen, bräuchte er mir nur die Socken nass zu machen. Es gibt kein schlimmeres Gefühl. Ob die alte Frau Socken trug oder nicht, konnte ich in dem trüben Wasser nicht sehen, jedenfalls zog sie sich wankend aus dem Stuhl hoch, richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und fixierte uns hochfahrend. Das Wort » hochfahrend« kennt möglicherweise nicht jeder, aber jeder weiß, wie jemand schaut, der sich für hundertmal besser hält als die restliche Welt.
    » Ich bin Mrs Murphy Sallis«, sagte sie, » und ich befehle euch, sofort mein Haus zu verlassen.«
    » Sie sind nicht Mrs Murphy Sallis«, erwiderte Moxie. » Es gibt überhaupt keine Mrs Murphy Sallis«, erklärte sie zu mir gewandt. » Ich kenne Mrs Sallis seit meiner Geburt, und sie heißt mit Vornamen Dot.«
    » Die Dame ist Sally Murphy«, sagte ich, » die berühmteste Schauspielerin, die Schwarz-aus-dem-Meer je hervorgebracht hat. Sie ist eine lokale Legende.«
    Der Ausdruck der alten Frau veränderte sich, als würde aus ihrem Gesicht ebenfalls Wasser abgelassen. Mit einem feuchten Plumps sackte sie in den Sessel zurück und nickte griesgrämig. » Es ist immer eine Freude, einem Theaterliebhaber zu begegnen.«
    » Deshalb kam sie mir so bekannt vor«, sagte Moxie. » Der Schwarze Leuchtturm hat ihr Foto x-mal auf der ersten Seite gebracht. Aber woran hast du sie

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