Der Fluch der Finca
übersehen
vielleicht etwas.
„Wo liegt der Fehler“, wollte er wissen.
“Ich weiß nicht, ob es ein Fehler ist, aber wir sollten zwei Dinge nicht aus den Augen
verlieren. Erstens glauben wir ja nur, dass es so ist, wie es der Fremde in seiner
Chronik schreibt. Es klingt zwar alles plausibel, aber wir sollten immerhin die
Möglichkeit in Betracht ziehen, dass er völlig daneben liegt. Aber selbst wenn er Recht
hat, wie wir hoffen, wissen wir immer noch nicht, ob der Fluch Jake überhaupt etwas
anhaben könnte. Er ist nicht hier. Er hält sich tausende von Meilen entfernt in
Kalifornien auf. Wie können wir wissen, dass die Macht dieses Fluches so weit reicht?
Die Familie damals hat es erwischt, als sie das erste Mal ihr neu erworbenes Haus
betreten haben. Ich meine, es war ja nicht so, dass sie schon beim Notar der Blitz
getroffen hat.“
Damit hatte sie Keith etwas zum Knabbern gegeben. Er kaute angestrengt
nachdenkend auf seiner Unterlippe herum, während er Michelles Einwände abwog.
Doch er gab sich noch nicht geschlagen.
„Mag alles sein, Michelle. Aber denkst du nicht auch, dass wir gar keine andere Wahl
haben, als es darauf ankommen zu lassen? Die CIA hat nicht den blassesten
Schimmer, wo Thorn sich aufhält und ohne ihn werden sie Juanita nicht finden. Die Frist
läuft ab. Wir werden seinen Forderungen sowieso nachkommen müssen, ganz egal, ob
wir bei der Sache mit dem Fluch richtig liegen oder nicht. Das Einzige, was zählt, ist,
dass wir zumindest einige berechtigte Hoffnung haben, dass Juanita am Leben bleibt
und es stattdessen Thorn an den Kragen geht.“
Selbstverständlich konnte sie Keith in diesem Punkt nur Recht geben. Mit dem
Restrisiko mussten sie leben. Die zweite Sache, die ihr im Kopf herum ging, war aber
ohnehin wesentlich beunruhigender. Keith war offenbar noch nicht von selbst darauf
gekommen.
Voller Sorge blickte sie an Keith vorbei zum Fenster. Als er bemerkte, dass sie mit den
Gedanken ganz woanders war, folgte er ihrem Blick und erstarrte, als er begriff.
„Scheiße, nein!“
Ein resignierter Seufzer war das Einzige, was Michelle als Antwort zustande brachte.
Jetzt stand er hinter ihr und hielt ihre Hand. Die Suche nach den fehlenden Seiten war
erfolgreich verlaufen. Das Geheimnis des wiederkehrenden Fluches hatte sie entdeckt
und eine Möglichkeit, Juanita zu retten, hatte sie möglicherweise auch gefunden. All
diese Erfolge hatten sie unvorsichtig gemacht und jetzt bekamen sie die Quittung
präsentiert.
Die Sonne war untergegangen.
16. KAPITEL
Der Nachthimmel war sternenklar. Unter normalen Umständen wäre es ein zauberhaft
romantischer Anblick gewesen. Die eine oder andere Sternschnuppe würde man sicher
auch entdecken können, wenn man nur lange genug den Himmel beobachtete. Die
zwei Liebenden aber, die diesen Himmel durch das kleine Fenster im Obergeschoss der
Finca sahen, konnten keine romantischen Gefühle aufbringen. Es war nackte Angst, die
es in ihnen auslöste.
Michelle wurde die Kehle eng. Sie hatte nie mit Asthma zu tun gehabt, aber so musste
sich ein Anfall anfühlen. Ihr Atem ging pfeifend und raste flach dahin, ohne dass eine
nennenswerte Menge Sauerstoff ihre Lungen erreichte. Ohne es zu bemerken, hatte sie
Keith´ Hand so fest umklammert, dass sich ihre langen Fingernägel in seine Haut bohrten.
Vorsichtig entwand er sich ihrem Griff, ging zum Fenster und zog die Vorhänge zu.
Auf dem letzten Stück, bevor er ganz geschlossen war, verhakte er sich in der Führungsschiene.
Zwar zerrte Keith energisch daran herum, doch es half nichts. Er musste
auf die Fensterbank steigen und das Problem an der Quelle beheben. Michelle
beobachtete seine Bemühungen und wurde zusehends nervöser.
Mach, dass es zu geht, mach, dass es zu geht, mach …
Ein spitzer, panischer Schrei, der sich überhaupt nicht nach Keith anhörte, riss sie aus
ihrem Mantra. Es war Keith, der da schrie und dabei mit einem gewaltigen Satz rückwärts
von der Fensterbank weg in den Raum sprang. Er kam ungünstig und unkontrolliert
auf dem Boden auf. Das Reißen der Bänder in seinem Fuß war laut wie ein Peitschenknall
und zog einen weiteren Aufschrei nach sich, der in ein verzweifeltes,
schmerzerfülltes Brüllen überging.
Michelles Hände pressten sich reflexartig gegen ihre Ohren. Sie hätte sich die Augen
zugehalten, wenn sie es sich hätte aussuchen können, doch so musste sie sehen, was
Keith von einer Sekunde auf die andere in totale Panik
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