Der Fluch der grünen Steine
sondern wanderte quer durchs Land, durch Felsschluchten und an Berghängen entlang, schlug Haken von Kilometerlänge und wartete einen Monat lang in einem einsamen Tal mit einer Quelle. Sie werden mich vergessen, dachte er. Aber vergißt man einen Jungen, der einen großen Grünen aus dem Berg geholt hat? Nach über zwei Monaten tauchte Juanito, unkenntlich durch einen Bart, in Penasblancas auf, um weiter nach Bogotá zu ziehen. Eine Nacht wohnte er bei ›Mamá‹, leistete sich eines von ›Mamás‹ Mädchen und bezahlte mit einem kleinen Smaragd. Wie immer Vorkasse. Da ist ›Mamá‹ vorsichtig. Aber dieser Smaragd! Solch eine Farbe, so etwas von Reinheit. ›Mamá‹ geriet ganz aus dem Häuschen. Und sie dachte richtig: Wo einer von dieser Sorte ist, liegen auch noch andere. Juanito bekam das schönste Mädchen, und das größte Aas dazu! Das Unglück der meisten von uns ist: Wir zerbrechen an zwei Dingen, dem Berg und den Weibern! – Gegen Morgen kapitulierte Juanito vor so viel unersättlichem Temperament und schlief erschöpft ein. ›Mamá‹ untersuchte ihn. Sie entdeckte ein Beutelchen mit weiteren herrlichen Steinchen, aber nicht die großen Grünen. Dafür fand sie eine Notiz: ›Ca. 22 k.‹ Nur diese drei Worte, aber sie ließen alle Glocken läuten. Juanito mußte irgendwo einen Stein haben, der geschliffen 22 Karat brachte. Je nachdem, wer ihn aufkauft, bedeutete das einige Millionen Pesos! Juanito brauchte nie mehr zu arbeiten! ›Mamá‹ ließ ihn beobachten, aber sie war nicht schnell genug.«
Pepe warf seinen Zigarettenstummel in das Feuer und spuckte in hohem Bogen hinterher.
»Juanito wurde umgebracht«, sagte Dr. Mohr langsam.
»Hätte man das nur getan! Nein, er wurde geschlachtet. Verstehst du, was ich meine, Doctor? Menschen, schlimmer als Raubtiere, erwischten Juanito auf dem Weg nach Muzo, wo er anscheinend unter militärischem Schutz nach Bogotá wollte. Sie spannten ihn, wie eine Tierhaut zum Trocknen, zwischen zwei Bäumen auf und ›fragten‹ ihn. Er muß lange und tapfer geschwiegen haben. Der Bataillonsarzt in Muzo zählte 32 Messerstiche, über den ganzen Körper verteilt, die letzten mit einer glühend gemachten Klinge. Außerdem aufgeschlitzte Arm- und Brustmuskeln, Kastration … Willst du noch mehr hören, Doctor?«
»Nein!« sagte Mohr leise. Seine Stimme war heiser.
»Er starb durch einen Stich in die Kehle. Als sei er ein Schwein. Aber vorher muß er gesprochen haben. Vier Tage später reisten zehn Burschen und Christus Revaila nach Bogotá. Die Jungs mauerten ihn förmlich ein! Warum wohl?« Pepe wedelte mit der Hand. »Ich will nichts angedeutet haben! Beweisen kann man überhaupt nichts. Und von Juanito spricht auch keiner mehr.«
»Dann müßte jetzt Don Alfonso Camargo Besitzer des großen Steines sein.«
»Sprich es nie laut aus, Doctor.« Pepe Garcia lehnte sich zurück, hielt sein Gesicht hoch, stützte sich auf die Arme und riß die Augen auf. »Sieh dir das an, Doctor. Muß ich blind werden?«
»Ich bin kein Augenarzt, Pepe. Aber wenn der Sehnerv beschädigt ist.«
»Kann man das operieren?«
»Kaum.«
»Wenn ich den großen Fund mache, will ich noch etwas von der Welt sehen. Doctor, ich möchte, bevor ich für immer unter der Erde liege, noch einmal eine Frau im Arm halten. Ich habe mein halbes Leben im Berg gelebt. Dieser Berg war meine einzige Geliebte. Ihr Ärzte seid doch so klug! Ihr könnt sogar Herzen verpflanzen! Was ist da schon ein Auge?!«
»Ein Nerv, Pepe! Es ist noch keinem gelungen, einen kranken Sehnerv auszuwechseln. Man wird auch Gehirne nie austauschen können. Ein Herz ist dagegen kein Problem, technisch gesehen. Es ist ein pumpender Muskel, weiter nichts.«
»Weiter nichts! Aber mein Sehnerv.«
»Das ist das Feinste und Faszinierendste, was der Mensch in sich trägt.«
»Ha! Macht mich das stolz!« sagte Pepe sarkastisch. »Wenn ich blind bin, kann ich allen sagen: Mein Sehnerv war so zart und fein, der machte die Hölle von Penasblancas nicht mehr mit!« Pepe kehrte in seine normale Sitzhaltung zurück und spuckte wieder in das Feuer. Dann griff er in die Tasche und drehte sich erneut eine seiner menschenzerfressenden Zigaretten. »Du willst hier bleiben, Doctor?«
»Ja, Pepe.«
»Und auch blind werden?«
»Ich werde nicht im Stollen schürfen.«
»Du wirst! Jeder, der hier lebt, wird von der Sucht nach grünen Steinen gepackt. Soll ich dir sagen, wie es mit dir weitergehen wird? Am Tage wirst du Arzt sein und allen,
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