Der Fluch der grünen Steine
Novarra. »Wandeln Sie endlich in Ihre Kirche! Oder wollen Sie diesen Mörder vielleicht noch segnen?«
»Wenn er es nötig hat …«
»Haben wir es nötig, Glatzkopf?« fragte Dr. Novarra höhnisch. »Gibt es noch was, das du dir von der Seele reden mußt?«
»Hört mich an!« schrie Duk mit quiekender Stimme. »Hört mich doch erst an. Dahinter steckt Christus Revaila.«
»Wo ist Christus Revaila?« brüllte Novarra. »Revaila, vortreten! Er ist nicht da? Merkwürdig! Wer nicht da ist, kann kein Blasrohr durchpusten! Ist das logisch, Fettsack?«
»Ich heiße Duk, Henry Duk. Revaila hat mir …«
Novarra schnitt mit einer Handbewegung den Satz ab. »Wo ist Revaila?«
»In Penasblancas«, stotterte Duk.
»Und wer ist hier? Wie heißt du?«
»Duk …«
»Der kleine, fette Duk ist hier! Mit einem Blasröhrchen! Und nicht Revaila hat geblasen, sondern der kleine Duk. Warum sollen wir also Revaila verfluchen und den Blasrohr-Henry streicheln? Warum wohl? Weil er so gerne ein paar tausend Pesos haben wollte, schnell verdient, indem man einen Mann umbläst? Was ist denn schon dabei? Was ist ein Mensch denn wert in dieser Gegend?! Natürlich, der Auftrag kommt von Christus Revaila, ein wahres Miststück ist das, das wissen wir alle … aber wer klebte am Blasrohrmundstück? Wer wollte töten? Duk, wir fragen dich …«
Der dicke Glatzkopf schwieg. Alles an ihm schmerzte. Der Unterleib, der Arm, in dem noch immer das Messer stak, das Herz, das sich vor Angst und Grauen zusammenkrampfte. Plötzlich begann er zu wimmern, weinte wie ein Kind und hing schlaff in den Händen der Männer.
»Ich kann nichts sagen«, stammelte er. »Seid gnädig. Bitte, bitte, seid gnädig.«
»Warst du mit dem Doctor gnädig? Wieviel war er Revaila wert, na?«
»Gnade …«
Novarra sah sich um. »Wer hat das Wort schon mal gehört?« fragte er laut.
»Keiner!« brüllten die Guaqueros.
»Ich …«, sagte Pater Cristobal in die plötzliche Stille hinein.
»Einer also!« Novarra wischte sich über die Augen. »Aber bis er uns das Fremdwort übersetzt, bis wir es begreifen, ist die Zeit verronnen. Duk …«
Henry Duk blickte hoch. Sein feistes Gesicht zuckte. Mit flimmerndem Blick verfolgte er, wie Dr. Novarra das Blasrohr mit dem vergifteten Pfeil an einen Mann weitergab, der wie ein Halbblut aussah. Der Mann nickte, wog das Blasrohr in der Hand und setzte es dann an seine Lippen.
»Wir sind gerecht«, sagte Novarra langsam und betont. »Wir sind so gerecht, daß wir sogar die Bibel respektieren. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Hier heißt es Pfeil um Pfeil … Führt ihn an die Hauswand!«
»Nein!« brüllte Duk. Die Augen quollen ihm aus dem Kopf. Er fiel auf die Knie und umfaßte mit beiden Händen seinen Kopf. Das Blut aus seinem Arm, in dem noch immer das Messer stak, rann ihm jetzt auch über den Schädel und färbte ihn mit roten Streifen. »Nein! Ich schwöre, ein guter Mensch zu sein.« Er warf sich herum, sah Cristobal an und begann, auf den Knien zu ihm hinzurutschen. »Pater! Helfen Sie mir«, greinte er. Er faltete die Hände und hob sie wie betend empor. »Pater. Im Namen Gottes, schützen Sie mich. Man kann mich doch nicht einfach töten …«
Zwei Männer rissen Duk von Cristobal zurück und schleiften ihn zur Hospitalwand. Der Glatzkopf schrie durchdringend und grell, stemmte die dicken Beine gegen die Erde, ließ sich fallen, – aber es nutzte ihm nichts, sie trugen ihn weg, warfen ihn an die Wand und traten von ihm zurück. Er lag auf dem felsigen Grund, zusammengekrümmt, weinend, geschüttelt von Todesangst und glaubte daran, daß ihm niemand etwas täte, wenn er so liegen blieb. Erst wenn er sich aufrichtete, würde man den Pfeil abschießen. Er streckte sich, legte sich auf den Bauch und preßte das Gesicht auf die Erde.
Novarra nickte dem Halbindianer zu. Bevor Pater Cristobal es verhindern konnte, denn plötzlich stand das Bollwerk Adolfo Pebas im Weg, trat das Halbblut an Henry Duk heran und legte das Blasrohr an die Lippen.
»Duk!« rief Novarra hart.
Der Glatzkopf hob den Kopf. Mit offenem Mund starrte er in das Blasrohr, sah wie ein Aufblitzen den Pfeil herumzischen und fühlte den fast schmerzlosen Einstich in seiner Kehle. Gurgelnd warf er sich auf den Rücken, riß sich mit beiden Händen den Pfeil aus dem Hals, aber schon bei diesem Griff spürte er die Lähmung und hörte in sich den ›lautlosen Donner‹. Sein Blut rauschte wie ein riesiger Wasserfall, das Grollen schwoll an und erreichte
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