Der Fluch der grünen Steine
Stimme stimmte er einen Choral an. Schüchtern, mit dünner Stimme, fielen die anderen ein, aber dann sangen sie aus voller Kehle, je mehr schwerbeladene Mulis auf das Plateau getrieben wurden.
Henry Duk, der kleine, fette Glatzkopf, tastete mit den Blicken die Menge ab. Dann fixierte er einen Mann, der in der ersten Reihe stand und seinen Arm um die Hüfte eines hübschen Mädchens gelegt hatte.
Das ist er, dachte Duk. Das ist Dr. Morero. Freue dich nur, mein Junge, in einer Stunde bist du steif.
Henry Duk sollte sich täuschen.
Es dauerte länger als eine Stunde.
Dr. Mohr war nie so ungeschützt, daß Duk seinen Auftrag ausführen konnte. Inmitten der 170 Mulis, der Männer aus der ›Burg‹ und der Guaqueros half er beim Abladen mit, schleppte die wertvollen Kisten voll Medikamente zusammen mit Dr. Novarra, Dr. Simpson, Pater Cristobal und Miguel in das Hospital und überwachte den Transport des auseinandergenommenen Röntgengerätes, des Narkoseapparates und anderer unersetzbarer OP-Einrichtungen.
»Heute abend werden wir uns einen ansaufen!« sagte Dr. Novarra. Er saß auf einer Kiste mit Ersatzteilen des benzinbetriebenen Generators, der den Strom für die elektrischen Geräte erzeugen sollte.
Die Männer hatten eine Pause eingelegt. Ihre Rücken schmerzten vom Kistentragen. Dr. Mohr, schwitzend, das Hemd bis zum Gürtel offen, rauchte eine Zigarette. Auch andere diverse Dinge hatte man mitgeschickt: Tee, Kaffee, Zigaretten aus Amerika, Whisky und kolumbianischen Kognak. »Doctor, sind Sie sich bewußt, daß durch Sie hier ein neues Zeitalter begonnen hat?« fragte Novarra.
»Ich würde das nicht so hymnisch benennen …«
»Aber es ist so. Um diesen Teil der Welt hat sich keiner mehr gekümmert. Über 30.000 Menschen existierten nicht mehr. Sie waren höchstens nur noch Maden, die über die Steine krochen. Ein Leben galt nichts – und da kommen Sie des Weges, bekleidet mit der Unbekümmertheit eines Idioten …«
»Danke …«
»Lassen sich nieder und sagen ganz schlicht: Hier baue ich ein Hospital und behandele diese armen Lebewesen, die außerhalb der Menschheit stehen! Und es gelingt Ihnen sogar: Sie stellen ein Krankenhaus auf die Beine!« Dr. Novarra klopfte sich auf die Schenkel. »Kaum zu glauben! Verraten Sie mir einmal, was den Erzgauner Camargo bewogen hat, Ihnen das alles zur Verfügung zu stellen.«
»Er hat es mir versprochen.«
»Natürlich! Aber mit welchem Hintergedanken? Ein Don Alfonso krümmt nicht mal den kleinen Finger, wenn nicht wenigstens etwas dabei herausspringt. Da er die Guaqueros jetzt ärztlich betreuen läßt, kann das doch nur eines heißen: eine verstärkte Tätigkeit in den Minen. Ein Gesunder schafft mehr als vier Schwache, das ist eine Regel. Dieses wiederum bedeutet: Es kommen viel mehr Smaragde ans Tageslicht.«
»Das mag sein.«
»Sie Trottel vom heiligen Geist! Mehr Smaragde, mehr Tote – das ist die Satansformel. Begreifen Sie das nicht? Auf dem Wege von hier bis Penasblancas, und von Penasblancas bis Bogotá lauern die Aufkäufer, die nicht mit Pesos, sondern mit Bleikugeln bezahlen! Und wem es gelingt, Bogotá zu erreichen, der muß erst noch die Emerald-Street überleben, denn hier ist die Endstation. Hier muß er seine Steinchen absetzen, sonst sind sie so wertlos wie Kiesel. Dann stehen sie sich gegenüber: Die Dealer mit den Ausbeulungen in ihren Jacketts und die Schürfer mit ihrem grünen, glitzernden Vermögen in verknoteten, dreckigen Taschentüchern. Das ist eine geradezu elementare Situation! Sie wird in Zukunft in verstärktem Maße stattfinden, dank Ihrer ärztlichen Tätigkeit. Sie päppeln Menschen hoch, damit man sie später erschießen oder erdolchen kann. Kommen Sie da nicht in einen Gewissenskonflikt, Doctor?«
»Ich will nur den Kranken helfen, Ramon. Was sie aus ihrem Leben machen, ist ihre Sache.«
»Sie ähneln den Ärzten im Krieg, die auch nicht mit ihrem Gewissen klarkommen. Vom ärztlichen Ethos angehalten, flicken sie jeden Verwundeten wieder zusammen, nur mit dem Ziel, den Gesunden dann wieder an die Front zu schicken, damit er die Chance hat zu sterben. So wird der Arzt Gehilfe eines Völkermordes, so furchtbar das klingt! Auf der einen Seite muß er helfen und heilen, auf der anderen Seite versorgt er damit den Nachschub für den Tod. Jeder Geheilte ist ein neues Opfer! Doctor, ich möchte kein Arzt sein, der die Zurechtgeflickten beglückwünscht und mit dem Wissen entläßt, daß ein neues Sterben auf sie wartet! Wie
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