Der Fluch der Halblinge
Gelegenheiten waren selten genug und solche großen Versammlungen noch seltener. Fionn empfand erneut tiefe Dankbarkeit und Zuneigung für seinen freundlichen Herrn, der ihm all das ermöglichte und gleichzeitig Onkelchen Fasins Abschied würdigte.
Während die ersten das Tanzbein schwangen, nahm Fionn allen Mut zusammen. Dies war sein Tag, seine Stunde, er hatte die Große Arca geöffnet. Er ging auf Cady zu, die sich sofort erhob, als sie ihn auf sich zukommen sah. Im Vorbeigehen hörte er Tiws ungewöhnlich tiefe, scharfe Stimme, und ihm gefiel es nicht, dass er von unerfreulichen Dingen sprach, weil an einem solchen Tag nur gefeiert werden sollte.
Doch dann war er schon von Cadys Aura eingehüllt, wie von einer frischen Frühlingsbrise, und betrachtete den Himmel in ihren Augen; so klar und ohne Wolken. Sie war eine Fingerspanne kleiner als er, und er kam sich ungeschickt und tölpelhaft wie ein Bär beim Glashändler vor, als er sich leicht verbeugte und ihr den Arm zum Tanz reichte.
Sie nahm ihn an, und dann kreisten sie in der Mitte des fröhlichen Runds in vollendeter traditioneller Haltung und Harmonie.
Es wurde spät, und Onkelchen Fasin fielen die Augen zu. Er hatte dem Wein ordentlich zugesprochen und sich damit in guter Gesellschaft befunden. Viele andere hatten inzwischen schon einen ordentlichen Zungenschlag, auch in Fionns Kopf herrschte ein einziges Durcheinander an tanzenden Gedanken, jubilierenden Sängern und merkwürdigen Kreiseln, die ihm die Koordination seiner Bewegungen erschwerten.
Die Kinder weigerten sich, müde zu werden und scharten sich um Tiw, der auf seinem Sessel über ihnen thronte. Hatte Fionn da etwas versäumt in den letzten Stunden? Wieso mochten sie diesen Griesgram?
»Erzähl uns was, Tiw!«, forderte das erste Kind auf.
»Ja, erzähl uns mehr! Mehr!«, stimmten die anderen zu und schlugen die Hände zusammen.
»Na, also schön«, gab er dem Drängen schließlich nach. »Eine Geschichte noch, dann geht es zu Bett!« Für die Kinder gab es in einem kleineren Raum ein Deckenlager, wo sie schlummern konnten, bis die Feier beendet war und alle nach Hause gingen. »Was wollt ihr hören?«
»Erzähl vom Krieg! – Ja, ja, vom Krieg! Vom Großen Krieg!«
Fionn runzelte die Stirn. »Ist mir da etwas entgangen?«, fragte er seinen Freund Tulpur.
»Ach, das ist ein Spinner«, winkte der ab. »Du hast nichts verpasst. Wie war’s mit Cady?«
»Ich tue so, als hätte ich diese unverschämte Frage nicht gehört. Und jetzt beantworte du meine.«
»Nun, als du vorhin weg warst … mit Cady …«
Fionn musste es sich gefallen lassen, denn schließlich entsprach es der Wahrheit. Cady und er hatten sich entfernt, waren Hand in Hand im Garten spazieren gegangen und hatten dem lieblichen Gesang der Nachtigall gelauscht. Und Cady hatte Fionn geküsst, und er hatte sie geküsst, und dann waren sie in glücklichem Schweigen weitergegangen. Und ins Haus zurückgekehrt.
»Es hat einen Streit gegeben«, fuhr Tulpur fort. »Tiw hat behauptet, dass die Bogins nicht immer Sklaven gewesen seien. Vor dem Großen Krieg sei alles anders gewesen, behauptet er.«
»Nicht immer Sklaven? Der Große Krieg? Was soll das sein? Und wann soll das gewesen sein?«
»Genau das fragten die Alten ihn auch, und er ereiferte sich immer mehr. Er behauptete, alles stünde in einem Buch. ›Zeig uns das Buch‹, forderten sie ihn auf, aber er sagte, er wisse nicht, wo es sei – doch es würde existieren. Er wurde ausgelacht und deswegen immer wütender, und dann kamen dein Meister und der Magister und andere Gäste und beschwerten sich über den Lärm und drohten, das Fest zu beenden. Tiw gab nach und entschuldigte sich, wobei ihm anzusehen war, dass er sich dabei am liebsten übergeben hätte. Aber sein Magister war sehr wütend, und er kuschte vor ihm. Doch der Unfrieden währte nicht lange. Die Kinder finden seine Geschichten toll, und wie es aussieht, hat er sich nun durchgesetzt. Siehst du? Sie lassen ihn eine Geschichte erzählen.«
Fionn hatte kaum ein Wort begriffen; Tiw schien aus einer anderen Welt zu kommen. Neugierig geworden setzte er sich an den Rand der Gesellschaft und hörte zu.
Tiw sprach tatsächlich von einem Großen Krieg, der vor vielen Hundert Jahren stattgefunden haben sollte. Er erzählte von stürmischen Schlachten und wahren Helden. Worum es ging? Alle Völker kämpften gegeneinander, erklärte er, nur wie es begonnen habe, wüsste er nicht. Doch in den letzten Tagen des Krieges
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