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Der Fluch der Halblinge

Der Fluch der Halblinge

Titel: Der Fluch der Halblinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Prisca Burrows
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Meister ein und stemmte sich mühsam aus dem niedrigen Sessel. Er vergaß für einen Moment, wo er sich befand und stieß sich den Kopf an – nicht zum ersten Mal, übrigens, das war schon eher ein Ritual. Seine Mütze fiel herunter, und Fionn beeilte sich, sie aufzuheben und dem Herrn zu reichen.
    »Einige meiner Gäste werden bestimmt den einen oder anderen Sklaven mitbringen, sodass für genügend Abwechslung gesorgt ist«, fügte Meister Ian hinzu. »Und für dich wäre es die beste Gelegenheit, dich Cady zu nähern. Ich glaube, sie hat nichts dagegen, wenn mich meine alten Augen nicht trügen. Meine Erlaubnis hast du.« Er nickte seinem Sklaven noch einmal zu und ging dann krumm und schief nach draußen, wo er noch einmal innehielt. »Aber vergiss darüber nicht, die Große Arca zu öffnen und zu studieren, das ist deine Aufgabe für heute zur Mannwerdung. Denn morgen schon wirst du dich den Pflichten und der Verantwortung eines Erwachsenen stellen und dein unbeschwertes Leben ablegen müssen.«
    Wie sich herausstellte, hatte Meister Ian Wispermund gewaltig untertrieben – es kamen viele Gäste und alle brachten Sklaven und deren Kinder mit. Fionn wusste sich gar nicht zu erklären, wie es dazu kam, dass so viele Besucher zu seiner Gratulation kamen. Als ob eine große Bogin-Versammlung abgehalten würde.
    »Weil es nicht nur eine Zwanzig-Zwei, ein Volljahr ist, sondern auch ein Abschied«, erklärte Onkelchen Fasin gerührt und begrüßte jeden Einzelnen besonders herzlich, denn er kannte sie von einer oder zwei Ausnahmen abgesehen alle, von klein bis groß.
    »Ein Abschied?«, fragte Fionn verwundert.
    »Mein Kleiner«, sagte der alte Mann liebevoll und tätschelte seine Wange. »Du siehst merkwürdig aus, aber du bist ein guter Junge. Und das letzte Kind, das ich zur Doppelzwei geleitet habe. Es wird Zeit für mich.«
    »Aber nein, aber nein!«, klangen Proteste auf. Der Versammlungsraum war inzwischen berstend voll, Alt und Jung drängelten sich an Tischen, in den Ecken und auch auf dem Boden. Es wurde gegessen und getrunken und geraucht und leise musiziert, und überall brannten Kerzen, und der Duft nach Kräutern und Bratäpfeln lag über allem. Für Fionn war es eine aufregende Erfahrung, so viele seines Volkes kennenzulernen, und er mochte sie alle, denn sie waren guter Stimmung und wussten heitere Begebenheiten zum Besten zu geben.
    »Aber doch, aber doch«, versicherte der schwergewichtige Alte, der im bequemsten Sessel ruhte, die Beine ausgestreckt, die lange Pfeife in der Linken, einen Weinpokal in der Rechten. Die Weste spannte sich über seinem beachtlichen Bauch, und sein in vier Zöpfe geteilter Bart reichte bis zu seinem Gürtel. Wenn die Gerüchte stimmten, war er bereits über einhundertachtzig Jahre alt und konnte demnach noch auf etwa zwei Jahrzehnte hinausblicken. Er hatte bereits dem Vater des Meisters gedient, und noch dessen Vater davor. Weil er nie eine Frau und Kinder gehabt hatte, wurde er seit mindestens einhundert Jahren von allen aus Wertschätzung mit »Onkelchen« tituliert.
    »Ich bin schon längst über meine Zeit hinaus, aber der Abschied fiel mir schwer, denn ich wollte noch Fionn Hellhaars Mannwerdung miterleben. Nun gibt es aber keine Verzögerung mehr. Schon morgen erhalte ich meine Audienz bei der Hohen Frau.«
    »Die Àrdbéana«, seufzte so mancher und verdrehte verträumt die Augen.
    Sie galt als die Lieblichste und Edelste aller Elben. Selbst unter den Allerhöchsten und Allerältesten der Unsterblichen wurde sie verehrt und über sie nur im leisen Ton geredet. Ihr Titel bedeutete Höchste Hoheit, noch über den Hochkönig und die Hochkönigin der Elben hinaus. Sie wurde in einer Vielzahl von Liedern besungen und war eine Legende bei allen Völkern.
    Nur wenige bekamen die Hohe Frau jemals von Nahem zu Gesicht, es war eine besondere Auszeichnung. Doch jedem Bogin wurde diese Ehre einmal im Leben zuteil. Teil des Obersten Gesetzes war es nämlich, dass die alt gewordenen Sklaven in den verdienten Ruhestand geschickt wurden, hinaus aufs Land, umgeben von blühenden Gärten. Die Àrdbéana verabschiedete persönlich jeden Einzelnen dorthin in einer Audienz unter vier Augen. So sollten die fleißigen, stillen, bescheidenen Wesen geehrt werden, die ihr ganzes Leben lang im Dienst ihres Herrn oder ihrer Herrin standen, treu und zuverlässig.
    Damit war es nur zu verständlich, dass Onkelchen Fasin vergnügt und guter Dinge war, doch Fionn war traurig. »Morgen schon,

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