Der Fluch der Halblinge
tat sich ein Held besonders hervor, weil er zur tragischsten Figur wurde.
»Er galt im Kampf als unüberwindlich«, erzählte Tiw mit Pathos in der Stimme, »und so geschah es, dass der Feind ihm etwas besonders Grausames antat.«
Fionn wollte fragen, wer der Feind gewesen sein mochte, doch die Kinder hingen so gebannt an Tiws Lippen, dass er schwieg.
»Was tat er?«, riefen sie. »Sag es, sag es schnell!«
Tiw beugte sich vor. Fionn musste zugeben, dass dieser skurrile Bogin ein guter Erzähler war, und er verstand sich mit den Kindern besser als mit den Erwachsenen. Nun zog er eine gespielt finstere Miene und hob leicht die Hände, krümmte die Finger. Seine Stimme sank zu einem heiseren Flüstern herab, sodass die Kinder noch näher rücken mussten und mit offenem Mund zu ihm hoch sahen.
»In einer dunklen Nacht, als der große Held sich nach einer langen Schlacht erholte, schlich sich der Feind in sein Lager, in sein Zelt, an seine Bettstatt. Der Feind war nicht mehr als ein diffuser Schatten. Doch sehr wirklich und greifbar war die finstere Klaue, die er nun ausstreckte nach der Brust des edlen Kriegers.« Tiw stellte die Haltung und die gekrümmte Klaue nach, und die Kinder stöhnten.
Inzwischen hörten alle, auch die Erwachsenen, gebannt zu. Niemand gab einen Mucks von sich.
»Und dann … schlug er zu! « Alle fuhren zusammen, als Tiws Stimme zischte und dann laut wurde. Mit der Faust schlug er gegen das hölzerne Bein seines Sessels, das einen dumpfen Klang von sich gab. »Und er entriss dem Helden sein Herz und floh damit, bevor dieser erwachte!«
In die effektvolle Pause hinein stieß ein Kind hervor: »Aber … aber dann war er doch tot …«
Darauf hatte Tiw nur gewartet, wie seiner Miene anzusehen war. »Eben nicht! «, rief er. »Finstere Magie war hier am Werke! Der Feind wollte den Helden nicht töten, er wollte ihn auf viel grausamere Weise vernichten. Ohne sein Herz war er all seiner Kräfte beraubt, und so war auch der Krieg verloren. Alles änderte sich. Und der Krieger … nun, auch die Sterblichkeit ging ihm verloren mit seinem Herzen. Seither wandelt er ruhelos durch die Lande, auf der Suche nach seinem Herz, um die Gerechtigkeit wiederherzustellen …«
Tiw zog eine triumphierende Miene am Ende seiner Geschichte. Fionn hatte begeistert wie die Kinder zugehört, er liebte Heldengeschichten. Es gab leider nicht viele.
»Diese Geschichte – stammt sie aus der sagenumwobenen Ritterzeit?«, fragte er.
Der Bogin mit den misstrauischen dunklen Augen musterte ihn kurz; abschätzend , kam es Fionn vor, und beinahe, mutig durch Wein und Bier, wäre er wütend geworden und hätte seinen Gast zurechtgewiesen.
Doch Tiw antwortete bereits: »Ja. Mit Ende des Krieges waren auch die Ritter dahingegangen; die einen hatten ihr Leben verloren, die anderen legten ihre Rüstungen ab und zeigten sich nie mehr wieder.«
Fionn dachte an die Uhr Ridirean vor dem Palast, das letzte Symbol einer Zeit, die es gegeben haben musste. Oder stand sie nur für ein Ideal, das erstrebt werden sollte? Er hatte einmal eine Diskussion seines Herrn mit einem hochadligen Elben mitverfolgt. Der Elb hatte erklärt, dass diese Uhr ein Werk seines Volkes sei, um alle zu ermahnen, welche Ideale erstrebenswert sind.
»Und was stellt dann die Schlange dar, wenn nicht das Symbol des Niedergangs?«, hatte Meister Ian Wispermund angriffslustig gefragt.
Der Elb hatte keine Miene verzogen. »Sie stellt die Weisheit dar, denn sie sammelt all das Wissen, das zur vollen Stunde schlägt, und gibt es damit weiter.«
»Aber wie hieß er denn?«, rief ein gerade zur Frau erwachendes Mädchen in Fionns Erinnerung hinein und kaute aufgeregt an den Fingernägeln. »Was für einen Namen hatte der Held ohne Herz?«
Tiw machte eine theatralische Geste.
»Peredur«, antwortete er feierlich.
Fionn stand der Mund offen. Die Gesichter der meisten zeigten Verblüffung, selbst den Kindern blieb die Luft weg. Für einige Herzschläge war niemand in der Lage zu sprechen.
Dann prusteten die Kleinen los. Kein Wunder! »Peredur« war eine Gespenstermär der Menschen, die sich auch Bogins und Elben gern in verschiedenen Abwandlungen erzählten. Allen gleich aber war die Beschreibung, dass es sich bei »Peredur« um einen Klagegeist handelte, der wie eine Plage Träume heimsuchte, in den Häusern spukte, und wer ihn nicht nur mit den Ketten rasseln hörte, sondern in diesem Moment leibhaftig von Angesicht zu Angesicht erblickte, der war dem Tode
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