Der Fluch der Hebamme
Kleidern, um Pferdefleisch zu kochen.
Am 13. Mai des Jahres 1190 feierten die Wallfahrer die Pfingstmesse. Das Festmahl anlässlich des hohen Feiertages bestand für die meisten von ihnen aus stundenlang gekochten Ochsen- und Pferdehäuten. Wenige Glückliche hatten sich ein paar Nagetiere oder Eidechsen gefangen und brieten sie. Nur an die Ritter wurden winzige Rationen Pferdefleisch ausgeteilt – das Letzte, was noch an Vorräten geblieben war.
Und das Gerücht verbreitete sich, dass sich ihnen die Söhne des Sultans am nächsten Tag in einer gewaltigen Feldschlacht stellen wollten. Das verwunderte nicht wenige der erfahrenen Kämpfer. Hatten Kilidschs Söhne in der Ebene vor Philomelion nicht erlebt, dass eine abendländische Panzerreiterei auf offenem Feld ihre größte Durchschlagskraft besaß? Wenn Rutbeddin und seine aufrührerischen Brüder trotzdem angreifen wollten, statt sich hinter den starken Mauern Ikoniums zu verschanzen und einfach zu warten, bis der Feind verhungerte und verdurstete, dann waren sie entweder sehr dumm – doch man sollte die Klugheit des Feindes nie unterschätzen! – oder sehr ehrgeizig.
Oder aber es waren tatsächlich dreihunderttausend Mann.
Am Abend, nach den Gebeten, gingen Roland und Thomas noch einmal zu ihren Pferden. Ihnen knurrten die Mägen vor Hunger.
»Jetzt ist es genau ein Jahr«, sagte Roland zusammenhangslos.
Verwirrt starrte Thomas ihn an.
»Vor einem Jahr, genau am Pfingstfest, sind wir zum Heer des Kaisers gestoßen. In Pressburg. Erinnerst du dich noch, wie es damals war? Jetzt sind wir über ein Jahr unterwegs, wenn ich die Zeit einrechne, die wir von Döben nach Pressburg gebraucht haben.«
»Ein Jahr«, wiederholte Thomas und versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, was sie in dieser Zeit alles erlebt hatten.
»Ich habe ihre Stimme vergessen …«, meinte Roland gedankenversunken.
Als Thomas ihn verständnislos ansah, sagte er ungeduldig: »Claras! Ihr Gesicht sehe ich noch genau vor mir, auch wenn ich manchmal nachts träume, ich könnte es vergessen … es könnte so einfach aus meiner Erinnerung verschwinden. Aber ich weiß nicht mehr, wie ihre Stimme klingt.«
Er liebt sie immer noch, dachte Thomas erschüttert. Er liebt sie so, wie mein Vater meine Mutter geliebt hat. Allmächtiger Vater im Himmel, bitte richte es irgendwie ein, dass er gesund zurückkehrt und meine Schwester zur Frau nehmen kann. Und solltest Du die Güte haben, auch mich gesund heimkehren zu lassen, dann erweise mir die Gnade und lass ein Mädchen meinen Weg kreuzen, das ich so lieben kann wie Roland meine Schwester und mein Vater meine Mutter!
»Ob der alte Markgraf noch lebt?«, fragte er, nachdem seine Gedanken wie von selbst diese Richtung eingeschlagen hatten. »Oder herrscht inzwischen Albrecht über das Land? Ich habe so ein ungutes Gefühl, was meine Mutter und Lukas angeht. Meine Brüder sind noch klein, die hat mein Stiefvater bestimmt in Sicherheit gebracht, um sie aus allem herauszuhalten. Aber er selbst hat so eine Art, sich immer wieder in eine schwierige Lage zu bringen. Irgendwann könnten ihm die Listen einmal ausgehen. Und ich glaube, wenn es um meine Mutter geht, würde er alle Vorsicht vergessen und freiwillig den Kopf in die Schlinge legen, wenn er sie damit retten kann.«
Roland lachte auf. »Du machst dir Sorgen um Lukas? Den lockt keiner in die Falle, der ist mit allen Wassern gewaschen. Sind
wir
nicht eigentlich diejenigen, die sich auf eine gefährliche Reise begeben haben? Aber wir haben überlebt.«
»Jedenfalls bisher«, schränkte Thomas ein. »Das kann sich morgen ändern.«
Der Tod hatte reiche Ernte gehalten unter den Weißenfelsern, noch bevor sie das eigentliche Kampfgebiet erreicht hatten, obwohl Dietrich seine Männer streng zusammenhielt und in den bisherigen Kämpfen weniger Leute und Pferde verloren hatte als andere Anführer.
Drei Futterknechte und vier Reisige waren von Pfeilen getötet worden, nachdem sie byzantinisches Gebiet betreten hatten, der Ritter, der Buße tun wollte für den Tod seiner Frau, war nahe Adrianopel umgekommen, ein weiterer hatte das Abnehmen seines Armes nicht überlebt, als er nach einer anfangs harmlos scheinenden Verletzung Wundbrand bekam, Bruno war nach der Schlacht verblutet. Mehr als ein Dutzend Männer hatten den Gewaltmarsch durch das wasserlose Gebiet nicht überstanden. Einige waren einfach tot umgefallen, einer war wahnsinnig geworden und stürzte sich mit ausgebreiteten Armen vom
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