Der Fluch der Hebamme
so gut es bei dem Regen und in der Dunkelheit ging. Der Regen spülte Blut und Eiter heraus, hellrote Fäden rannen seinen Arm hinab und tropften ins Gras.
»Rupert hat recht, das muss ausgebrannt werden. Wenn du willst, übernehme ich das«, bot Roland an.
Seine letzten Worte gingen im Krachen eines Donners unter, und als ein Blitz sein Gesicht für einen Moment erhellte, dachte Thomas: Jetzt sieht er aus wie sein Vater, nur magerer. Rolands regennasses Haar fiel nun wieder in Locken, und durch den Bart und die Entbehrungen der letzten Monate wirkte er viel älter als die einundzwanzig Jahre, die er zählte.
»Es gibt hier nirgendwo ein Kohlebecken, um das Messer auszuglühen«, antwortete Thomas, während er sich fragte, ob er wohl auch aussah wie ein ausgemergelter Fünfzigjähriger. Allmählich soff das Lager ab, und der Regen wurde immer heftiger statt schwächer.
»Deine Mutter würde es ausglühen!«, beharrte Roland. »Irgendwo werden wir schon ein Feuer finden, und wenn ich dafür durch die königlichen Gärten schwimmen muss!«
Thomas lächelte bei dem Gedanken an seine Mutter, ohne sich dessen bewusst zu sein. »Ja, das würde sie. Aber angesichts der Lage … kann das warten bis morgen, ja?«
Er sah den Freund an, der sofort begriff. Vermutlich würden sie beide den morgigen Tag nicht lebend überstehen. Diesmal würde der Feind nicht fliehen, sondern erwartete sie hinter starken Mauern. Also konnte sich Thomas die Qual des Ausbrennens ersparen. Und falls er überlebte, blieb dafür Zeit bis nach der Schlacht.
Rupert kam zurück, die ausgewaschenen Binden in einer Hand und einen Helm mit abgebrochenem Nasal in der anderen, den er zum Schutz vor den Regentropfen mit einem riesigen Blatt abgedeckt hatte. Voller Stolz zog er das Blatt beiseite und zeigte den Inhalt des ausgedienten Helms: glimmendes Holz. Wer weiß, wo er das aufgetrieben haben mochte.
Entschlossen zog er seinen Dolch. »Ich bin bereit, Herr! Seid Ihr es auch?«
Thomas war beinahe gerührt darüber, dass sein Knappe sich alle Mühe gab, zu verbergen, wie sehr es ihn vor dieser Aufgabe graute. Immerhin hatte Rupert im vergangenen Sommer am eigenen Leib spüren müssen, wie schmerzhaft das Ausbrennen war.
»Du kannst es wohl gar nicht erwarten, mir die Sache von damals heimzuzahlen, Bursche?«, brummte er.
Rupert grinste. »Ihr habt es mir schließlich versprochen …«
»Dann muss ich dich heute leider enttäuschen. Das muss bis morgen warten.«
»Aber, Herr …« Es war unverkennbar Sorge, nicht Ungehorsam, die ihn zu Widerspruch trieb.
»Man braucht gutes Licht dazu – sagt meine heilkundige Mutter«, schnitt Thomas jeden Einwand ab.
Rupert ließ durch nichts erkennen, ob ihn diese Erklärung überzeugte oder ob er den wirklichen Beweggrund seines Lehrherrn erriet.
»Hilf mir, die Wundränder zusammenzupressen und den Arm neu zu verbinden!«, wies Thomas ihn an, bevor der Junge gründlicher darüber nachdenken konnte.
Sorgsam strich Rupert die Leinenstreifen glatt und wickelte sie um den blutigen Unterarm.
»Straffer, sei nicht so zaghaft«, ermutigte Thomas ihn. »Es darf nicht verrutschen, wenn ich den Arm bewege.«
Das nasse Tuch kühlte die brennende Wunde – ein wohltuendes Gefühl.
Während der Knappe die Enden fest verknotete, fragte er mit gesenktem Kopf und ungewohnt ernst: »Herr, könntet Ihr in Erwägung ziehen … mich morgen als Ritter in die Schlacht mitzunehmen?«
Nun, da es raus war, atmete er tief durch.
Bestürzt sah Thomas zu Roland und bat ihn mit einem Blick, ihm jetzt beizustehen. Wenn schon sie beide morgen ganz vorn kämpfen mussten und starben, dann sollte nicht auch noch der Junge sein Leben einbüßen. Sie hatten bereits einen Knappen verloren, woran sie sich beide immer noch schuldig fühlten. Rupert und Gerwin sollten in den hinteren Reihen bleiben, bei den anderen Knappen. Dort waren ihre Aussichten zu überleben auch nicht groß, aber wenigstens etwas besser.
»Tut mir leid, daraus wird nichts«, entschied er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Als er die Enttäuschung auf den Gesicht seines Knappen sah, erklärte er: »Es ist nicht so, dass ich mit deiner Leistung unzufrieden wäre. Aber wie du siehst« – vorsichtig schwenkte er seinen frisch verbundenen Arm –, »bin ich morgen dringend darauf angewiesen, dass mich jemand heraushaut, wenn es brenzlig wird. Und dafür brauche ich dich, nicht irgendeinen ungeschickten jungen Knappen. Und du wirst auch ein Auge auf
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