Der Fluch der Hebamme
Berg, die anderen ließen sich nicht mehr zum Aufstehen bewegen. Und mit ganz besonderem Grimm dachte Thomas an Philipp, den schmächtigen Knappen, den Plünderer aus den eigenen Reihen erschlagen hatten.
»Das glaub ich nicht, dass hier morgen dreihunderttausend Mann stehen«, meinte Roland nach einer Weile.
»Nein, ich auch nicht. Aber zur Beichte gehen sollten wir wohl besser – für alle Fälle.«
Anfangs klang es wie ein dumpfes Donnergrollen, obwohl auch am nächsten Morgen kein Wölkchen am Himmel stand.
Doch dann erkannten die Männer im Heerlager, dass es Trommeln waren.
Die Seldschuken – ob nun unter dem Kommando Rutbeddins oder seiner Brüder – hatten unzählige Trommler mitgebracht, die mit aufreizenden Schlägen den Feind zum Kampf herausforderten.
Die Frühmesse war in aller Eile gehalten worden, die meisten Männer hatten ohnehin die Nacht im Gebet verbracht oder in langen Reihen angestanden, um ihre Sünden zu beichten und Absolution erteilt zu bekommen.
Frühmahl gab es keines für das von jeglicher Versorgung abgeschnittene Heer, und so formierten sich die Kämpfer rasch unter dem Kommando des kaiserlichen Marschalls Heinrich von Kalden.
Die schwer gepanzerten Reiter bildeten die erste Reihe, die leichter gerüsteten Sergenten die zweite. Dicht dahinter standen Bogenschützen, Schleuderer und bewaffnetes Fußvolk.
»Von wegen dreihunderttausend! Das sind kaum mehr als zwanzigtausend. Das ist zu schaffen«, schätzte Wiprecht von Starkau gelassen ein, der an Thomas’ Seite ritt. »Wenn sie so übermütig sind, sich uns in einer offenen Feldschlacht stellen zu wollen …«
Eben, dachte Thomas – sie haben doch vor ein paar Tagen gesehen, welche Schlagkraft unsere Reiterei hat. Denken sie, wir fallen vor Hunger oder Schreck bei ihrem Anblick aus dem Sattel? Oder steckt irgendeine List dahinter? Wahrscheinlich glauben sie, uns durch ihre gewaltige Überzahl schlagen zu können.
Ein Signal lenkte seinen Blick auf eine Anhöhe in einer halben Meile Abstand. Dort ritt eine weitere Einheit Seldschuken auf.
Plötzlich drehte sich Wiprecht zu den Armbrustschützen und brüllte: »Schießt doch endlich diese Trommler aus dem Sattel, man wird ja selbst unter dem Helm schwerhörig bei diesem Lärm! Das gehört sich nicht bei einer ordentlichen Schlacht!«
Diesen Gedanken fand Thomas widersinnig. Jede Schlacht war voller Lärm: wiehernde Pferde, klirrende Waffen, die Schmerzensschreie von Getroffenen und Sterbenden … Aber dabei auch noch zu trommeln, gehörte sich vielleicht wirklich nicht.
Heinrich von Kalden lenkte seinen Hengst ein paar Schritte vor. Ein vorwitziger Bogenschütze aus dem feindlichen Lager schoss auf ihn, aber der Pfeil fiel in drei Pferdelängen Abstand zu Boden, ohne dass der kaltblütige Marschall diesen Angriff auch nur zur Kenntnis zu nehmen schien.
»Männer!«, schrie er mit erhobenem Schwert. »Ich weiß, ihr seid hungrig und durstig – und warum? Weil der Sultan ein Verräter ist! Er und seine Söhne haben sich mit Saladin verbündet, obwohl sie uns freien Durchmarsch zugesichert hatten! Da vorn stehen sie und wollen euch den Weg nach Jerusalem versperren. Sie halten uns für schwach, sie glauben, gegen
uns
eine offene Feldschlacht gewinnen zu können. Beweisen wir ihnen das Gegenteil! Wir werden uns durchkämpfen nach Ikonium, wo die größten Schätze auf uns warten, und dann nach Jerusalem. Für Gott und Jerusalem!«
»Für Gott und Jerusalem!« Aus Hunderten Kehlen wurde dieser Ruf wiederholt.
Auch die Gegner brüllten Schlachtrufe herüber und hoben drohend ihre Waffen.
Heinrich von Kalden ließ zunächst die Bogenschützen, Schleuderer und Armbrustschützen vortreten, die – von einer Reihe Männern mit großen Schilden gedeckt – mit Pfeilen, Steinen und Bolzen das feindliche Heer beschossen.
Dann zogen sich die Schützen zurück, und die Panzerreiterei stellte sich zum Angriff auf. Wieder ritten sie in dichter Formation, Knie an Knie, erst langsam, dann immer schneller werdend.
Noch bevor es zum Zusammenprall der beiden Schlachthaufen kam, wendeten die Seldschuken plötzlich ihre Pferde und galoppierten fort. Der Kaiser selbst führte eine Reiterei in vollem Galopp zu der Anhöhe, doch ohne sich erst auf einen Kampf einzulassen, drehten auch dort die Gegner um und preschten davon. Friedrich von Schwaben setzte ihnen mit seinen Männern nach und zerstreute sie, bis niemand mehr zu sehen war.
Wir haben gesiegt, dachte Thomas
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