Der Fluch der Hebamme
verkündete Wiprecht gelassen und stand auf, um das halbgare Fleisch vom Spieß zu nehmen und an die ausgehungerten Männer zu verteilen.
»Wartet!«, rief Thomas zur allgemeinen Verblüffung. Die Männer hatten sich zwar daran gewöhnt, dass der junge Freiberger im Kampf durchaus zu gebrauchen war, aber in ihrer Runde nahm er als Jüngster nur selten das Wort.
Doch Thomas fand, dies sei der Moment für einen von Marthes Ratschlägen.
»Meine Mutter ist heilkundig, und sie sagt, wenn der Körper lange Nahrung und Essen entbehren musste, dann muss er mit Bedacht wieder daran gewöhnt werden. So schwer es auch fällt: Esst vorerst nur kleine Bissen und sehr langsam!«
»Das
sind
nur kleine Bissen«, warf einer der jüngeren Ritter ein und wies auf die winzigen Stücke, die Wiprecht abschnitt. Doch Thomas ließ sich nicht beirren.
»Und morgen, wenn es kühles Wasser gibt – beherrscht euch und trinkt nur schluckweise, sonst bringt ihr alles wieder heraus und könnt sogar daran sterben!«
»Also, ich sterbe lieber beim Trinken als vor Durst«, sagte Gerwin leise und fing sich dafür eine derbe Kopfnuss von Rupert ein. Der schien wohl inzwischen zu der Meinung gelangt, dass Thomas so etwas wie allwissend in Sachen Heilkunst war, und sah den jüngeren Knappen so erbost an, dass Gerwin stumm blieb.
»Hört auf diesen Rat! Ich will keinen von euch wegen mangelnder Beherrschung verlieren«, ermahnte nun auch Dietrich seine Männer. »Maßhalten gilt schließlich als ritterliche Tugend. Und Thomas’ Mutter ist sehr erfahren in diesen Dingen – die beste Heilerin, die ich kenne.«
Wenn es überhaupt noch möglich war, Ruperts Hochachtung vor dem Heilwissen seines Ritters zu steigern, dann hatte Dietrich das soeben bewirkt.
Am nächsten Tag marschierte die nun wieder vereinte Streitmacht unter Friedrich von Staufen in die Stadt Philomelion ein.
Niemand wagte es jetzt, ihnen den Markt zu verweigern. Doch die Entbehrungen der letzten Wochen hatten tiefe Spuren hinterlassen. Der Hunger der Männer und die Menge, die benötigt wurde, um ein solch riesiges Heer mit Vorräten einzudecken, waren viel zu groß, gemessen an den Möglichkeiten der Stadtbewohner. Die Preise für Brot und Fleisch kletterten in irrwitzige Höhen: fünf Mark für eine Kuh, eine Mark für ein Brot, Mehl wurde mit Silber aufgewogen.
»Hauptsache, wir haben endlich Wasser«, meinte Thomas. Er und Roland hatten beschlossen, sich aus dem Geschacher um jedes einzelne Korn herauszuhalten. Sie konnten es sich schlichtweg nicht leisten, ihr ganzes Geld für ein winziges Brot auszugeben.
Stattdessen trugen sie ihren Knappen zu deren Verwunderung auf, Ausschau nach Essig zu halten. Nach Wein wagten sie gar nicht erst zu fragen, den hätte niemand von ihnen bezahlen können.
»Wollt ihr Essig trinken statt Wein?«, fragte Rupert erstaunt.
Thomas verzog das Gesicht. »So schlimm steht es noch nicht um uns. Aber verseuchtes Wasser kann man reinigen von den Dingen, die krank machen, indem man etwas Wein oder Essig dazugibt.«
»Wie scheußlich! Da lob ich mir klares, reines Quellwasser. Sagt nicht, ihr hättet je schon etwas Besseres getrunken!«, meinte sein Knappe.
Zu viert genossen sie das erfrischende, klare Nass und füllten ihre Schläuche, denn ab morgen würden sie wieder durch wasserloses Gebiet marschieren, hatten die Wegführer des Sultans gesagt.
Es war schwer, Marthes Rat zu befolgen und nur schluckweise zu trinken, wenn der Körper dermaßen ausgedörrt war. Doch bald sollte sich ihre Vorsicht als richtig erweisen. Im Lager fanden sie auf Schritt und Tritt Männer, die sich in Krämpfen wälzten oder qualvoll wieder erbrachen, wofür sie ihr letztes Geld ausgegeben hatten.
In Philomelion war das Heer für einen Tag der Hitze und Wassernot entronnen. Nun marschierte es auf Ikonium zu, die Hauptstadt des Seldschukenreichs, die noch rund hundert Meilen entfernt war. Die Gegner waren eingedenk der verlorenen Schlacht wieder zu ihrer früheren Kampfweise übergegangen: kleine, blitzschnelle Angriffe aus dem Hinterhalt.
Zu allen bisherigen Plagen raubte den Marschierenden nun auch noch ein Sandsturm die Sicht, und sie kamen vom Weg ab. Erneut mussten sie eine Nacht an einem Platz ohne Gras und Wasser zubringen. Danach durchquerten sie ein Sumpfgebiet. Hier gab es wenigstens Wasser. Auch wenn es brackig war, schmeckte es den Durstenden köstlich. In Ermanglung von Holz oder Gras machten sie Feuer aus Sätteln oder zerschlissenen
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