Der Fluch der Hebamme
Reihen zuritten, mit dem erhobenen Schwert in der Hand, denn die Männer neben ihm taten es auch. Jeder brüllte die Wut und Verzweiflung der letzten Wochen und Monate aus sich heraus.
Knie an Knie in einer Linie galoppierten die gepanzerten Kämpfer und verlangten ihren Pferden das Letzte ab. Mit voller Wucht brachen sie in die feindlichen Reihen und ritten und hieben alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte.
Gott steh mir bei!, dachte Thomas, als er zwischen Dietrich und Wiprecht auf die Gegner einschlug, ohne noch Gewalt über sein durchgehendes Pferd zu haben. Er sah Waffen blitzen, gekrümmte Klingen auf sich niederfahren und schlug kraftvoll zurück. Blut spritzte von allen Seiten, Menschen schrien.
Und dann wandten sich die Seldschuken zur Flucht.
Nach vielen kleinen, zermürbenden Niederlagen und endlosen Qualen hatte das Kreuzfahrerheer den ersten Sieg errungen.
Wasser und Blut
D er größte Teil der staufischen Streitmacht erreichte die Ebene erst, als der Kampf schon vorbei war.
Da hätte Thomas kaum mehr erklären können, wie er seine erste Schlacht geschlagen und überlebt hatte. Erinnern konnte er sich nur an Schreie von allen Seiten: Männer brüllten, um sich Mut zu machen oder vor Schmerz, Pferde wieherten qualvoll, wenn sie sich verletzt aufbäumten, stürzten und sich überschlugen.
Vage Bilder blitzten in seinem Gehirn auf, viel zu kurz, um sie genau zu erfassen … fremdartige Gesichter, von schwarzen Bärten umrahmt, der Antlitz eines Jungen, der kaum älter zu sein schien als sein Bruder Daniel, merkwürdig geformte Helme, gebogene Klingen … und jede Menge Blut … Blut, das von allen Seiten spritzte.
Sein Burnus war rot von Blut, und er begriff zunächst gar nicht, dass darunter auch sein eigenes war. Am linken Arm, eine Fingerlänge über dem Handgelenk, hatte er eine klaffende Wunde, doch merkwürdigerweise verspürte er keinen Schmerz. Jedenfalls zunächst nicht.
Rupert war es, der ihn aus diesem merkwürdig betäubten Zustand riss. Er hatte zusammen mit einem der anderen Knappen jemanden gepackt, dem ein Bein über dem Knie abgehackt war, und schleifte ihn mehr, als dass er ihn trug, zu einem aufgepflanzten zweifarbigen Wimpel.
»Herr, kommt mit, zum Feldscher!«, brüllte er. »Euer Arm!«
Thomas schüttelte sich kurz, als könnte er das eben Durchlebte so abwerfen, und sah jetzt erst, dass sein Kettenpanzer am linken Ärmel aufgesprengt war und immer noch Blut an seinem Handgelenk herunterrann. Dann erkannte er am blonden, schütteren Bart den jungen Bruno in dem Verletzten und rief erschrocken zu Rupert: »Du musst ihm das Bein abbinden, sonst verblutet er!«
Rupert schüttelte den Kopf. »Wir sind gleich da.«
Tatsächlich, nur wenige Schritte vor ihnen war der Feldscher schon bei seiner blutigen Arbeit.
Er schlug ein Kreuz über einem Mann mit einer grässlich aussehenden Bauchwunde, die keinen Zweifel daran ließ, dass dieser Verletzte nicht überleben würde, und wandte sich auf Ruperts Schreien hin Bruno zu.
»Leg ihn hierhin. Und dann sprechen wir gemeinsam ein Gebet«, wies der Feldscher an.
»Wir müssen die Wunde abbinden, sofort!«, brüllte Thomas. »Zuerst wird gebetet!«, erklärte der Feldscher ungehalten. »Dieser Mann wird ohne Gottes Beistand nicht durchkommen.«
Ohne Aderpresse auch nicht, dachte Thomas zornig und ließ sich neben Bruno auf die Knie fallen. »Rasch, gib mir deinen Gürtel!«, befahl er Rupert und streckte ihm ungeduldig fordernd die Hand entgegen.
Beleidigt rief der Feldscher ein paar seiner Helfer heran und befahl ihnen, den Mann fortzuschicken, der ihn bei der Arbeit
behindere.
In Thomas stieg blinde Wut auf, als wäre er immer noch in der Schlacht. Jener merkwürdige Kampfrausch war noch nicht erloschen, er wollte trotz seiner Verletzung auf die Männer losgehen, als wären es Feinde.
Erneut war es Rupert, der ihn zur Besinnung brachte. Er warf sich ihm in den Weg und brüllte: »Er ist tot, Herr! Lasst uns gehen!«
Ein Blick auf Bruno machte Thomas klar, dass sein Knappe recht hatte.
Abrupt drehte er sich um und sagte zu Rupert: »Komm mit. Wir haben hier nichts verloren. Du wirst dich nachher um meine Wunde kümmern.«
Noch einmal sah er wütend auf den Feldscher und die Knechte, die überaus erleichtert wirkten, sich nicht mit einem Ritter anlegen zu müssen. Dann ging er mit Rupert und dem zweiten Knappen zum Lagerplatz der Weißenfelser.
Im Gehen hätte er beinahe jemanden umgerempelt; der Sprache nach
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