Der Fluch der Hebamme
doch den Kopf und riss die Augen auf vor Staunen. Friedrich und Hans standen da mit ihrem Karren, der mit duftendem
Heu beladen war.
Am liebsten wäre sie den beiden jubelnd um den Hals gefallen. Aber das gehörte sich natürlich nicht für eine verheiratete Frau – und schon gar nicht für einen Zisterzienser, der gerade ein Schweigegelübde abgelegt hatte.
Friedrich lächelte ihr aufmunternd zu, lud sie beide ein, es sich auf der Ladung bequem zu machen, und brachte sein Gespann mit einiger Überredungskunst dazu, loszuzuckeln.
»Wir haben großes Glück!«, sagte er freudestrahlend zu Marthe. »Zum einen, weil wir Euch endlich gefunden haben und Ihr noch lebt. Und ausgerechnet jetzt ist der halbe Hofstaat Albrechts fort, zum Begräbnis seines Oheims Dedos von Groitzsch, und die Straßen sind deshalb sicherer für uns.«
»Ottos Bruder ist tot?«, fragte Marthe, als habe sie im Augenblick keine anderen Sorgen als das Ableben des fetten Markgrafen der Ostmark.
»Ja, und die Einzelheiten dazu werden Euch sicher in Erstaunen versetzen«, plauderte Friedrich munter weiter. »Da der König einen Italienzug plant und ihn dabeihaben wollte, hat sich der feiste Dedo entschlossen, auf seinen Medicus – den, den Ihr von Ottos Sterbelager vertrieben habt – zu hören, und sich wahrhaftig das Fett aus dem Leib schneiden lassen. Ich muss Euch wohl nicht erklären, dass er die Sache keinen Tag überlebt hat.«
Friedrichs Wortschwall und diese sonderbare Begebenheit lenkten Marthe von allem anderen ab, das sie eigentlich viel dringender wissen wollte. Sie hatte schon etliche merkwürdige Dinge bei Wund- und Leibärzten gesehen, aber diese Geschichte war mit Abstand die absonderlichste.
Nach einer halben Meile erreichte das Fuhrwerk ein Wäldchen. »Ganz in der Nähe werdet Ihr erwartet. Aber vielleicht wollt Ihr Euch vorher wieder standesgemäß kleiden«, meinte Friedrich verschmitzt.
Hilbert öffnete die Kiste, Marthe griff sich Schuhe, Kleid und Schleier und lief ins nächste Gebüsch, um sich dort umzuziehen. Dann lugte sie vorsichtig hinter dem Gestrüpp hervor, ob sie sich nun ohne Verkleidung zeigen durfte, und ging zu ihren Rettern, um Pater Hilbert die Ordenskleidung zurückzugeben.
»Was wird nun aus Euch werden?«, fragte sie besorgt in die Runde.
»Wir zwei reisen ganz gemächlich nach Freiberg zurück«, meinte Friedrich gelassen grinsend, und sein Bruder nickte zustimmend.
»Ich werde auch auf Reisen gehen«, erklärte der Kaplan. »Randolfs Sohn, der jetzt in Euerm Haus lebt, will mich nicht bei sich haben. Und auf dem Burgberg, wo ich mich als Schreiber verdingt habe, könnte jemand herausfinden, was ich heute getan habe. Ich hoffe, der Allmächtige verzeiht mir mein Tun. Vielleicht sollte ich mich auf eine Pilgerfahrt begeben. Doch jetzt …«
Er wies nach vorn, und Marthe erschrak, als sich jemand durch das Unterholz arbeitete.
Dann glaubte sie zu träumen.
»Du lebst?«, flüsterte sie und rannte mit offenen Armen auf Lukas zu. »Sie sagten mir, du seist tot«, rief sie, während sie gleichzeitig weinen und lachen musste.
»Und ich hatte Mühe, die Hoffnung nicht aufzugeben, dass
du
noch lebst«, gestand Lukas und presste sie an sich.
So standen sie umklammert, von ihren Gefühlen überwältigt, und niemand wagte es, sich zu rühren oder ein Wort zu sagen – als könnten sie damit den Zauber dieses Augenblicks zerstören und sich alles nur als ein trügerischer Traum erweisen.
»Wir rasten hier und lassen die Tiere etwas ausruhen«, rief Friedrich ihnen zu. »Wenn Ihr Euch erfrischen wollt – ein paar Dutzend Schritte weiter westlich, tiefer in den Wald hinein, müsste ein Bächlein fließen, wenn ich mich nicht irre.«
Ein freundlicher Vorwand, dem endlich wieder vereinten Paar ein paar Augenblicke der Zweisamkeit zu gönnen.
Ohne ein weiteres Wort nahm Lukas seine Frau bei der Hand und bahnte ihr mit der anderen den Weg durch das Gezweig.
Tatsächlich konnten sie bald den Bach rauschen hören. Als sie das Ufer erreicht hatten, verborgen vor allen fremden Blicken, wagte Marthe zum ersten Mal seit dem Wiedersehen, ihrem Mann offen in die Augen zu sehen.
»War es sehr schlimm, was sie dir angetan haben?«, fragte sie voller Mitgefühl und Schuld. »Lass mich nach deinen Wunden sehen. Komm, ich helfe dir aus der Rüstung …«
Ohne Knappen benötigte er jemanden, der ihm die Schnallen der Kettenkapuze löste und ihm aus dem schweren Kettenpanzer half. »Es ist alles schon
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