Der Fluch der Hebamme
durchgesetzt werden, was sich als nicht einfach erwies.
Die Streitigkeiten zogen sich über Wochen hin und entzweiten das Heerlager noch mehr. Wer auf der Seite des englischen Königs stand, setzte sich ungestüm für Guido von Lusignan ein, wer zu den Staufern und zum französischen König hielt, sprach sich leidenschaftlich für Konrad von Montferrat aus. Obwohl die Entscheidung längst nicht im Heer getroffen wurde, sondern unter der Geistlichkeit, die über Ehescheidung und Eheschließung zu befinden hatte, sorgte die Angelegenheit für so boshaft geführte Streitigkeiten, dass sie Raufereien auslösten.
Bis schließlich im November Konrad mit Isabella vermählt wurde und sich mit seiner jungen Gemahlin nach Tyros zurückzog. Rechtmäßigerweise lehnte er es ab, sich König nennen zu lassen, solange er und seine Gemahlin nicht gekrönt seien. Aber da Guido auf seinen Titel nicht verzichten wollte, war Konrad nicht bereit, ins Feldlager nach Akkon zurückzukehren.
Wenig später traf aus Richtung Norden noch mehr Verstärkung für Saladins Männer ein, und nun war das fränkische Lager von allen Seiten von mächtigen gegnerischen Truppen umschlossen. Heerführer Heinrich von Champagne lag schon seit Wochen schwerkrank danieder. Ein paar verzweifelte Versuche, mit Sturmleitern in die Stadt zu gelangen, scheiterten. Saladin schaffte es sogar, die erschöpfte Wachmannschaft Akkons durch neue, kampfbereite Männer zu ersetzen.
Im fränkischen Heerlager wüteten unterdessen den ganzen Winter über Seuchen, Streit, Verzweiflung und Hunger. So großer Hunger, dass bald auch die besten Pferde geschlachtet wurden.
20. Januar 1191 vor Akkon
N un hatte die Krankheit auch Rupert und Roland erwischt. Beide lagen nebeneinander im Feldhospital unter dem Segel der Hansekaufleute. Thomas hatte den Grafen von Weißenfels um Erlaubnis gebeten, sich dort um sie und die anderen Kranken kümmern zu dürfen, und war von ihm sofort dorthin abkommandiert worden. Niemand wusste besser als Dietrich, dass Thomas von seiner Mutter mehr über Krankenpflege gelernt hatte als die meisten anderen hier, die solche Dienste versahen – abgesehen von den Johannitern, aber von denen kam keiner in das Krankenlager unter dem Hansesegel.
Angesichts der vielen Schwerkranken und Sterbenden fühlte sich Thomas beinahe schlecht bei dem Gedanken, dass es ihm noch gutging, auch wenn er hungerte. Sogar seinen verwundeten Arm konnte er wieder bewegen, nachdem er sich Woche um Woche gequält hatte, um damit die einstige Kraft und Geschicklichkeit wiederzuerlangen.
Der Heerführer Heinrich von Champagne lag weiterhin auf den Tod nieder, und auch der Herzog von Schwaben war erneut schwer erkrankt.
Was tun wir noch hier?, dachte Thomas. Einer nach dem anderen verreckt vor meinen Augen, unser Heer ist führerlos, und die anderen streiten um die Macht und die Krone.
Manchmal kam es Thomas eher wie eine Buße dafür vor, dass er noch lebte, während so viele andere gestorben waren, zuallererst wieder die Jüngsten, die Knappen.
Zwar versuchte er, den Kranken Erleichterung zu verschaffen. Notker, der kleine Benediktiner, nun beinahe zum Strich abgemagert, und noch ein paar Entschlossene halfen ihm dabei. Denn was konnte er schon tun, außer ihnen die Langeweile zu vertreiben? Es gab nichts zu essen. Die meisten Vorräte hatten ein paar geschäftstüchtige Pisaner gehortet und verlangten hundert Goldstücke für einen einzigen Sack Korn.
In den letzten Wochen waren ein paar hundert Mann schlichtweg verhungert. Und so fragte sich Thomas jeden Tag, wie lange er wohl noch zögern durfte, bis er auch seinem Pferd das Schlachtmesser an die Kehle setzte. Sein Rappe und Graf Dietrichs Schimmel waren fast noch die einzigen Hengste im klein gewordenen Lager der Weißenfelser. Auch Rolands flinkes Seldschukenpferd war längst geschlachtet und aufgegessen worden. Einem Grafen würde schon aus Standesgründen niemand das Pferd absprechen, aber Radomirs Tage waren gezählt, wenn nicht ein Wunder geschah. Thomas wusste sowieso kaum noch, wie er das Tier satt bekommen sollte.
Roland war gerade vor Erschöpfung eingeschlafen, und wieder musste Thomas die Furcht in sich niederringen, der Freund könnte aus dem Schlaf nie wieder aufwachen. Roland war vor allem vom Hunger geschwächt. Rupert dagegen sah aus wie ein mit grauer Haut überzogenes Skelett, und Thomas hatte schon zu viele Männer um sich herum sterben sehen, um sich noch einzureden, sein einstiger Knappe könnte
Weitere Kostenlose Bücher