Der Fluch der Hebamme
Hunger und die Seuchen ihr Werk getan haben. Haltet mich nicht für einen Feigling, wenn ich das sage. Sondern für jemanden, der gern mehr bewirkt hätte in seinem Leben.«
Jedes weitere Wort erstarb ihm in der Kehle.
Als ob ich mich nicht auch frage, ob ich am Tod jedes einzelnen Mannes schuldig bin, den wir verloren haben, dachte Dietrich bitter. Ob ich sie nicht in den Tod geschickt habe. In den Tod mitgerissen, als ich mich entschied, das Kreuz zu nehmen, und sie mir folgten. Doch ein Anführer darf solche Gedanken nie aussprechen.
»Ja, es sieht ganz so aus, als habe Gott uns verlassen«, gestand er nach einigem Schweigen ein. »Dein Vater war es, der mich gelehrt hat, das Leben anderer nicht als bedeutungslos zu betrachten. Und ich sage dies nur zu dir, deinem Vater zu Gedenken: Auf meinen Schultern lastet jeder Tote, den wir beklagen müssen. Am Tag des Jüngsten Gerichts werde ich mich dafür zu verantworten haben.«
Dietrich schwieg erneut einen Moment lang, dann trank er noch einen Schluck von dem widerlich schmeckenden Wasser, bevor er fortfuhr: »Wir können nicht weg, wir sind von solch starken Truppen umzingelt, dass jeder Versuch zum Durchbruch nur gewaltiges Blutvergießen brächte. Doch wir müssen nur noch bis März ausharren. Dann kommen endlich wieder Schiffe mit Vorräten. Leopold von Österreich wird frische Truppen heranführen, gut ausgebildete Männer. Und dies sollte unsere größte Hoffnung sein: Der englische und der französische König sind auf dem Weg hierher – mit großen Flotten, die fähig sind, die Seesperre zu durchbrechen, mit gut gerüsteten Rittern und Belagerungsgerät. Dann können wir Akkon einnehmen. Und der Weg ist frei nach Jerusalem. War das nicht unser Ziel, den christlichen Pilgern wieder den Zutritt zur Heiligen Stadt zu ermöglichen? Dass sie ihr Seelenheil erlangen können, wenn sie am Grab des Erlösers beten? Dafür haben wir all das auf uns genommen, haben all diese tapferen Männer ihr Leben eingesetzt.«
Dietrich erhob sich, was auch Thomas zwang, aufzustehen.
»Nun geht zu Eurem Freund und schaut, ob das Essen auch gerecht an die Kranken verteilt wird. Ich will Euch beide an meiner Seite wissen, wenn wir in ein paar Wochen gegen die Mauern von Akkon stürmen.«
Damit beendete Dietrich das vertrauliche Gespräch. Doch Thomas war viel zu sehr mit seinen Gedanken und Zweifeln beschäftigt, um auf sein Benehmen zu achten.
Die Streitmächte des englischen und des französischen Königs seien bedeutungslos im Vergleich zu denen des Kaisers, hatte Raimund gesagt, als sie sich heimlich nach Freiberg geschlichen hatten, um die Nachricht von Albrechts Handstreich zu überbringen. Außerdem würden beide Könige einander nicht über den Weg trauen. Und die sollten nun ihre ganze Hoffnung sein?
»Glaubt Ihr wirklich daran, dass die Könige von England und Frankreich ihren Streit überwinden, damit wir hier als geeintes fränkisches Heer kämpfen können?«, platzte er heraus, statt das Zelt zu verlassen.
»Darauf müssen wir hoffen«, entgegnete Dietrich sehr ernst. »Sonst wäre unsere Sache wirklich verloren.«
Doch dann hielt er Thomas selbst davon ab, zu gehen. Sein altbekanntes ironisches Lächeln huschte nun trotz der Düsternis dieses Tages über seine Züge.
»Dann werdet Ihr Gelegenheit haben, die Legenden mit der Wirklichkeit zu vergleichen. König Richard umgibt sich mit Sängern, die ihn lobpreisen, wirft mit Geld nur so um sich, und jedermann rühmt seine Tapferkeit, seinen Mut, seine Tugendhaftigkeit. Aus der Nähe betrachtet ist er jedoch jemand, der vollkommen von seinen Launen beherrscht wird – oft zum Nachteil seiner Untertanen – und in seiner ganz eigenen Welt lebt. Sein alter Freund und Feind, Philipp von Frankreich, hält dagegen nichts von Lobgesängen und höfischen Schmeicheleien. Er ist ein Zyniker, aber mit messerscharfem Verstand. An der Festtafel ist er bei weitem nicht so unterhaltsam wie der vielgerühmte Löwenherz. Aber in der Schlacht würde ich tausendmal lieber ihm folgen als Richard. Und das werden wir tun.«
Der Fall Akkons
E ndlich! Jubelnd sahen die Wallfahrer von ihrem Hügel aus die Verstärkung nahen: den französischen König mit seiner Flotte, begleitet von Konrad von Montferrat, der nun ebenfalls mit seinen Männern ins Kampfgebiet zurückkehrte.
Sie bereiteten den Neuankömmlingen einen begeisterten Empfang.
Endlich Grund zur Hoffnung! Jetzt war eine Wende möglich, konnte die so aussichtslos begonnene
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