Der Fluch der Hebamme
Wie absonderlich es dir auch vorkommen mag, du wirst tun, was dir dein Mann heute Nacht befiehlt. Der Schmerz … das Blut … die Scham … nichts davon darf dich abhalten, ihm zu gehorchen. Es ist nach Gottes Willen das Los der Frauen, dies alles in Demut zu erdulden und sich auf diese Weise ihrem Herrn und Gebieter zu unterwerfen. Ihre Strafe für Evas Sünde. Hast du verstanden?«
»Ja«, hauchte Clara scheinbar verängstigt.
Sie würde sich nicht Bange machen lassen von dieser giftigen Alten mit ihrem gelben Kleid. Den Schmerz würde sie ertragen. Es war ihre Entscheidung, und irgendwann musste es ja geschehen. Außerdem wusste sie, dass es nichts so Schlimmes sein konnte, wenn das Paar einander zugeneigt war wie ihr Vater und ihre Mutter oder nun auch ihre Mutter und Lukas. Allerdings fühlten sich nur wenige Eheleute so innig verbunden. Liebe und Ehe galten gemeinhin als zwei grundverschiedene Dinge, die nichts miteinander zu tun hatten.
Ob ich Reinhard auch einmal so lieben werde wie meine Mutter einst meinen Vater?, überlegte sie wehmütig.
Wie von selbst flogen ihre Gedanken zu Dietrich von Weißenfels, an das Gefühl, das sie erfüllte, wenn sie ihn nur sah, seine Stimme hörte, seinen Blick auf sich wusste.
In ihren Augen stand er für alles, was ihren Vater ausgemacht hatte: Tapferkeit, Gerechtigkeitssinn und Ehrgefühl. Deshalb liebte sie ihn, schon seit sie ein Kind war. Er war klug, unempfänglich für die Schmeicheleien, mit denen Menschen seines Ranges überhäuft wurden, und mit verborgenem Humor, den er nur im Kreis seiner engsten Vertrauten aufblitzen ließ. Und er war die Hoffnung für die Mark Meißen.
Doch vielleicht war diese Hochzeit nicht nur gut, um ihre Brüder zu schützen, sondern auch, um sich Dietrich endgültig aus dem Kopf zu schlagen. Dass sie nie würden heiraten können, war ihnen beiden stets klar gewesen.
Wenn Dietrich lebend aus dem Heiligen Land wiederkam, würde er jemanden von Einfluss und Rang heiraten müssen; eine Braut, deren Vater ihm Truppen bereitstellen konnte, um sich gegen seinen älteren Bruder zu behaupten.
Ein lautes Pochen riss Clara aus ihren Gedanken.
»Das Kleid für die Braut!«, rief jemand von draußen.
»Der Herr sei gepriesen. Herein damit!«, schrillte Ida, raffte mit ihrer fleischigen Hand die Röcke und stieg über eine Fußbank hinweg, um auf kürzestem Weg zur Tür zu gelangen.
Sie öffnete die Pforte nur einen winzigen Spalt, riss dem Boten das Bündel aus der Hand, knallte ihm die Tür vor der Nase wieder zu und wickelte das Kleid aus dem Leinentuch, in das es eingeschlagen war.
Clara hielt den Atem an, als sie den kostbaren Stoff und die üppigen Stickereien sah. Wenn auch vieles an dieser Hochzeit ungewiss war – eines jedenfalls stand fest: Sie würde ein wunderschönes Brautkleid tragen.
»Nun ja«, meinte die Frau des Vogtes naserümpfend, als sie das Gewand begutachtete. »Diese Farbe passt überhaupt nicht zu dir. Wir werden dein Haar bedecken müssen.«
Das Kleid war von sattem Grün und passte wunderbar zu Claras Haarfarbe. Aber sie hütete sich, zu widersprechen, auch wenn es ihr schwerfiel. Wer so dick ist wie Ida und dann in leuchtendem Gelb herumrennt als menschengroßes Gänseküken, mit dem streitet man lieber nicht über Farben, dachte Clara und verkniff sich ein Grinsen.
Neidvoll breitete die Frau des Vogtes das Kleid aus, das am Saum durch vier keilförmige Einsätze wohl zehn Ellen Umfang maß und dadurch wunderbar fiel.
»Außerdem ist es viel zu lang. Wir müssen es kürzen, sonst stolperst du am Ende noch darüber und brichst dir das Genick, bevor du vermählt bist.«
Ida ließ Clara auf einen Schemel steigen. Zwei Mägde streiften ihr das Hochzeitsgewand über, und Ida zog die Verschnürungen an den Seiten zusammen, so dass Clara kaum noch Luft bekam. Während die Mägde ihr zu Füßen den Saum eine Handbreit umschlugen und anhefteten, versuchte Clara, den verschlungenen Linien der gestickten Blütenranken auf den weiten Ärmeln zu folgen, um sich von ihrer Unruhe abzulenken.
Eine Magd flocht ihr grüne Bänder ins Haar, eine andere befestigte eine rautenförmige silberne Fibel am Halsausschnitt des Kleides.
Dann ließ Ida den Schleier holen, der am Rand ebenfalls mit Stickereien verziert war, und drückte Clara ein fein gearbeitetes silbernes Schapel auf die Stirn – ein Geschenk des Bräutigams, wie sie nicht zu erwähnen vergaß.
»So, nun geh, gehorche und erfülle deine Pflicht«,
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