Der Fluch der Hebamme
Allein sein aufmunterndes Lächeln wärmte ihr das Herz für eine Weile.
Zwei Lichtblicke gab es während der bedrückenden Wochen in Meißen seit ihrer Hochzeit. Gleich in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft hatte sie einer jungen Hofdame geholfen, ein Kind zur Welt zu bringen, einen gesunden Jungen. Sophia hatte ihr zunächst verboten, sich als Wehmutter zu betätigen, weil dies unter ihrem Stand sei. Doch als die Geburt unerwartet rasch voranschritt und keine andere Wehmutter aufzutreiben war, ließ man Clara gewähren. Ein Glücksgefühl durchströmte sie, als sie das Neugeborene in den Händen hielt und der Wöchnerin zeigen konnte. Doch Sophias Hass und Eifersucht wuchsen noch, weil eine andere einen Sohn geboren hatte.
Den zweiten glücklichen Moment musste Clara tief in sich verbergen. Sie hatte es bisher nicht erreicht, Hedwig zu sehen. Zu genau wurde sie belauert. Aber Guntram richtete es schon kurz nach seiner Ankunft ein, dass er ihr ein frisch beschlagenes Pferd zum Ausritt bringen durfte. Und dabei wisperte er ihr zu, dass er es geschafft hatte, nach Lukas’ und Marthes Anweisungen heimlich Hedwigs Magd Susanne zu treffen. So konnte er der Fürstin ausrichten lassen, dass Boten mit der Nachricht von Albrechts Missetat unterwegs zu ihrem jüngeren Sohn und dem Kaiser waren. Susanne habe zufrieden gelächelt, berichtete er; Hedwig und auch sie hätten nichts anderes erwartet und seien überzeugt, dass sich ihr Schicksal bald zum Guten wenden würde.
Heute hingegen schien ein Tag zu sein, an dem sich Glück und Unglück überschlugen.
Als der Lärm auf dem Burghof von der Ankunft des Silbers aus Freiberg kündete, war Clara wie alle Hofdamen zu einem der schmalen Fenster gelaufen, um hinauszuspähen. Ihr Herz jubelte, als sie Lukas heil und lebendig dort mit den anderen Männern sah. Sie wog ab, ob sie die Fürstin um Erlaubnis bitten sollte, ihren Stiefvater begrüßen zu dürfen. Wahrscheinlich würde Sophia das sofort verbieten, wenn es nur den geringsten Anschein dafür gab, dass Clara sich darüber freuen könnte. Aber Lukas ließ bestimmt nach ihr fragen. Vielleicht hatte er ja Nachricht von Thomas und Roland, vielleicht sogar von der bevorstehenden Rückkehr des alten Markgrafen!
Deshalb richtete sich Clara hoffnungsvoll auf, als wenig später ein Page anklopfte und eintrat.
»Ritter Lukas von Freiberg ersucht darum, seine Stieftochter zu sprechen, die Herrin von Reinhardsberg.«
Clara, die sich immer noch nicht so recht an diesen Titel gewöhnt hatte, blickte fragend zu Sophia. Doch sie wusste deren Antwort bereits, noch bevor diese ein Wort gesprochen hatte.
»Die Herrin von Reinhardsberg ist unabkömmlich.«
Clara gab sich alle Mühe, zu verbergen, wie tief sie das traf. Gehorsam senkte sie den Blick und widmete sich wieder wie befohlen der Stickarbeit. Ihr Stiefvater würde schon etwas unternehmen. Er wusste bestimmt, dass sie hier keinen Schritt unbeobachtet blieb. Ob er Abhilfe schaffen konnte? Doch solange Reinhard bei Albrecht unentbehrlich war, bestand für sie keine Aussicht auf Rückkehr nach Freiberg.
Das Stickmuster verschwamm ihr vor Augen; sie kämpfte, um sich ihre Tränen und damit ihre Schwäche nicht anmerken zu lassen.
Die Erlösung kam im nächsten Moment mit der Neuigkeit, ein Spielmann sei auf dem Burgberg eingetroffen und wolle die Damen mit seinem Gesang erfreuen.
Das lenkte die Frauen in der Kemenate von Claras Verzweiflung ab. Sophia klatschte in die Hände und befahl, ihn unverzüglich hierherkommen zu lassen.
Als der Spielmann eintrat, glaubte Clara, ihr Herz müsse vor lauter Freude einen Sprung machen. Es war ein alter Bekannter, ein guter Freund ihrer Eltern: Ludmillus.
Immer noch rank und schlank, wie stets in Kleidern in Mi-Parti, rot und grün, verneigte er sich schwungvoll und begrüßte die Fürstin. Dann nahm er die Laute und begann zu spielen.
Seine Stimme war wohlklingend und erinnerte Clara an die Zeit, als ihr Vater noch lebte. Und als er von einem Ritter sang, der mutig in den Tod gegangen war, um andere zu retten, da begriff sie: Es war kein Zufall, dass Ludmillus nach Meißen gekommen war. Lukas hatte ihn aufgespürt und zu ihr geschickt. Dieses Lied hatte Ludmillus gesungen, als ihr Vater zu Grabe getragen wurde.
Von der Fürsorge ihres Stiefvaters gleichermaßen aufgewühlt wie von den Versen, musste sie nun doch weinen.
Keine der Hofdamen wunderte sich, dass der Herrin von Reinhardsberg die Tränen liefen. Die meisten von ihnen
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