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Der Fluch der Hebamme

Titel: Der Fluch der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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sollte sich gleich nach Marthes Verschwinden auf dem Burgberg blicken lassen, damit niemand euch in Verdacht hat. Denk dir irgendeinen Vorwand aus. Lade Fürstin Sophia ein, ein paar junge Stuten zu begutachten. Das ist etwas, das sie – abgesehen von schönen Kleidern – wirklich begeistert.«
    »Wann brechen wir auf?«, fragte Raimund.
    »Sofort. Jeder Tag zählt.«
    Raimund nickte und verschwand mit seiner Frau. Er würde nun seine Rüstung anlegen und Lukas auch wieder seinen schnellen Fuchshengst mitbringen. Falls er es unerkannt bis kurz vor Meißen schaffte, war ein starkes, schnelles Reittier für ihn Gold wert, denn er würde Marthe vor sich auf den Sattel nehmen müssen.
    Sofern alles so lief, wie sie es sich erhofften.

Ohne Hoffnung
    M arthe hatte es längst aufgegeben, zu zählen, wie lange ihre Gefangenschaft schon dauerte. Der schmale Spalt ganz oben in ihrer Zelle, der den Blick auf ein winziges Stück Himmel erlaubte, verriet ihr, ob es Tag oder Nacht war. Die Glocken des Domes zeigten ihr die Stunde an, sofern der Wind den Klang des Geläuts zu jenem hinteren Teil des bischöflichen Palas trug, in dem sie vor aller Welt verborgen gehalten wurde. Einmal am Tag brachte ihr jemand etwas zu essen und einen Krug Wasser. Sie sah ihn nie und hörte ihn nie ein Wort sprechen, denn er öffnete die Tür immer nur einen Spalt, schob Schüssel und Krug hinein und verschloss die Tür erneut sorgfältig von außen. Nur an den großen, klobigen Händen erkannte sie, dass es ein Mann sein musste. Und wenn es zum Brot statt Käse oder manchmal sogar kaltem Fleisch nur Stockfisch gab und in der Suppe kein einziger Fleischbrocken schwamm, dann musste es Freitag oder irgendein anderer Fastentag sein.
    Doch sie wusste nicht mehr, wie viele Freitage vergangen waren, seit sie in diese Kammer gebracht worden war. Es kümmerte sie auch nicht. Die Nachricht von Lukas’ Tod hatte ihr jeglichen Lebenswillen genommen.
    Ihr lastete schon der Tod von Reinhard auf der Seele, sie konnte die Bilder von jenem blutigen Tag auf dem Burgberg einfach nicht aus ihrem Kopf vertreiben. Hinzu kam die zermürbende Ungewissheit, ob Clara die Niederkunft überstanden hatte und in Sicherheit war, ob Thomas noch lebte und ihre jüngeren Kinder außer Gefahr waren.
    Zu anderen Zeiten hätte sie in sich hineinhören können, versuchen können, zu erspüren, wie es den Menschen ging, die ihr etwas bedeuteten. Doch in jenem Moment, als Dittrich von Kittlitz ihr so beiläufig im Gehen mitgeteilt hatte, dass Lukas unter der Folter gestorben war, da war ihr Innerstes zu Stein erstarrt.
    Seitdem füllte völlige Finsternis sie aus.
    Manchmal konnte sie sich kaum überwinden, aufzustehen und zur Tür zu gehen, um das Essen aufzuheben. Nur die Ratten waren es, die sie dazu trieben, denn sonst würde ihr Mahl von dem Ungeziefer aufgefressen und der Wasserkrug umgeworfen. Dann übernahm einfach ihr Heilwissen jede andere Regung des Verstandes.
    Groß war die Versuchung, nichts mehr zu essen und zu trinken, sich einfach zum Sterben niederzulegen. Doch Gott verbot diese Art zu sterben, und sie hatte in ihrem Leben ohnehin mehr als genug Sünden auf sich geladen.
    Was hatte sie denn bewirkt mit ihrem Fluch?
    Reinhard war tot, ohne dass sie ihm je danken konnte für den Schutz, den er ihrer Tochter unter Einsatz seines Lebens gewährt hatte. Und Lukas, der Mann, den sie liebte und der alles getan hatte, um sie zu retten, musste ihretwegen die Folter erdulden, bis er qualvoll daran zugrunde ging.
    Hätte sie seinen Tod verhindern können, wenn sie nicht vorgetreten wäre und Albrecht verflucht hätte?
    Nein. In jenem Augenblick war sie überzeugt davon gewesen, dass Gott ihm durch ihr Eingreifen Aufschub gewähren und ihn auf wundersame Weise retten würde. Dazu hatte sie Albrechts geheimste Ängste ausgenutzt.
    Aber sie hatte sich getäuscht. Und was sie nicht losließ, weder bei Tag noch bei Nacht, war Lukas’ fassungsloses, ja zorniges Gesicht in jenem Moment, als sie vorgetreten war. Sie hatte ihre wortlose Übereinkunft gebrochen, dass sie sich zurückhielt und ihm den Kampf überließ.
    Doch wie hätte sie zusehen können, dass auch ihn der tödliche Schwertstreich traf und sein Kopf als Trophäe über dem Burgtor aufgespießt wurde? Aber da stak er nun, und die Krähen hatten ihm längst die Augen ausgehackt und das Fleisch von den Knochen gerissen.
    Sie wollte sterben und durfte es nicht. So fristete sie ihr nutzloses Dasein in ihrem Gefängnis.

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