Der Fluch der Hebamme
Kuno und Bertram zur Seite, die Christian selbst als Wachen ausgebildet
hatte, nachdem sie mit den Siedlern aus Franken hierhergekommen waren.
Lukas hatte vor, das Pferd zu wechseln. Zum Buhurt war er auf seinem Braunen geritten, aber für den Tjost hatte er sich sein neues Schlachtpferd bringen lassen, einen feurigen jungen Fuchshengst aus Raimunds Gut. Der war nicht nur ausgeruht, sondern sein Gegner hatte ihn auch noch nicht gesehen und würde nicht vorher abschätzen können, wie sich das Tier verhielt.
Kuno hielt den unruhig stampfenden Fuchs am Zügel. Er und Bertram sattelten den Braunen ab, den Bertram – das Bein nachziehend wegen einer Kriegsverletzung – zur Seite führte.
Lukas vergewisserte sich, dass der Sattel festgegurtet war, dann saß er auf und ließ sich von Kuno den Schild am linken Arm anbringen. Mit leichtem Schenkeldruck lenkte er das Pferd ein paar Schritte Richtung Stechbahn, nahm die Lanze entgegen und bat in Gedanken den heiligen Georg um Beistand, den Schutzpatron der Ritter.
Die Freiberger jubelten dem Befehlshaber ihrer Burgwache zu. Ob sie ihn leiden mochten oder nicht – auf jeden Fall sollte
er
siegen und nicht der Fremde, Freiberg zum Ruhme.
Wie von Christian vorausgesagt, musste Lukas gegen die untergehende Sonne reiten. Sein Gegner hatte die Sonne im Rücken und würde alles darauf setzen, ihn bereits beim ersten Anritt aus dem Sattel zu heben. Dabei würde Edwin wahrscheinlich mit der Lanze auf seine rechte Brust zielen und nicht auf den Schild. Lukas konnte sich zwar kurz vor der Begegnung hinter den Schild ducken, aber das sah feige aus und würde ihn daran hindern, selbst einen Treffer anzubringen. Also hatte er sich etwas anderes ausgedacht.
Auf das Signal hin setzten beide ihre Pferde in Bewegung. Edwins stämmiger Brauner ging sofort zum Galopp über, doch Lukas’ junger Fuchshengst schien seinem Herrn nicht zu gehorchen und lief nur zögernd und immer wieder scheuend dem anderen entgegen.
Mit erschrockenen Rufen reagierten die Zuschauer darauf, dass Ritter Lukas offensichtlich sein neues Pferd nicht beherrschte. Das war ungewohnt; sie alle kannten ihn als hervorragenden Reiter, schließlich war er Christians Schüler gewesen.
»Er wird doch nicht gegen den Groitzschtaler verlieren!«, stöhnte der Mann mit den Sägespänen auf dem Kittel hinter der rundlichen Krämerin.
»Sei froh, dass du nicht gewettet hast«, meinte die. Es gehörte sich ihrer Ansicht nach für einen Freiberger nicht, gegen einen Hiesigen zugunsten eines Fremden zu wetten.
Der massige Groitzscher galoppierte auf Lukas zu, dessen Pferd sich immer noch kaum vom Fleck rührte. So gab der Freiberger ein hervorragendes Ziel ab und würde außerdem nicht genug Wucht in den eigenen Stoß legen können.
Doch als sein Gegner schon nah war, wechselte Lukas’ Pferd plötzlich aus dem Stand in den Galopp, und ehe es sich der verwunderte Groitzscher versah, war sein Gegner an ihm vorbei und hatte einen Treffer erzielt; Lukas’ Lanze war gebrochen.
Lautstark bejubelten die Freiberger den Erfolg ihres Hauptmanns. Lukas verkniff sich ein Grinsen darüber, dass seine List aufgegangen war, und klopfte seinem Fuchs lobend auf den Hals. Kuno rannte ihm erleichtert entgegen und reichte ihm eine neue Lanze.
Erneut brachten die Widersacher ihre Pferde in Stellung. Lukas überlegte kurz, ob sich dieser Edwin noch einmal überrumpeln ließ, und beschloss, es darauf ankommen zu lassen. Dann war für ihn die Überraschung beim dritten Gang größer – sofern es einen gab und er nicht zu schwer verwundet wurde.
Als das Hornsignal ertönte, ließ er sein Pferd abermals tänzeln. Doch diesmal wartete er nicht, bis der andere schon fast heran war, sondern ging bereits auf halber Strecke zu vollem Galopp über.
Das war ein Fehler. Dem Groitzscher gelang ein Treffer, und Lukas musste den Schild hochreißen, um sich vor fliegenden Splittern zu schützen, so dass er den Gegner mit der Lanze verfehlte.
Ein Aufschrei ging durch die Zuschauer. Doch als sie sahen, dass Lukas – anscheinend sogar unverletzt – im Sattel geblieben war, setzte ein allgemeines Aufatmen ein.
»Unentschieden«, gab der Ausrufer bekannt. »So Gott will, bringt der nächste Gang die Entscheidung.«
Erneut musste Lukas gegen die Sonne reiten. Jetzt verzichtete er auf jegliche Täuschungsmanöver. Kaum ertönte das Signal für den dritten Anritt, gab er seinem Pferd das Zeichen zum scharfen Galopp, und der junge Hengst lief los,
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