Der Fluch der Hebamme
eine schwere Sünde. Doch er kannte nun schon so viele gefährliche Geheimnisse, dass es für etliche ihm nahestehende Menschen den Tod bedeuten konnte, wenn die falschen Leute davon erfuhren.
Allmählich schmerzten Thomas die Knie, und das Durcheinander in seinem Kopf lichtete sich nicht im Geringsten. Also legte er sich mit ausgebreiteten Armen vor den Altar, die Stirn auf den kalten Boden setzend.
Heilige Mutter Gottes, segensreiche Jungfrau Maria, ich flehe dich an, zeige mir einen Weg, damit ich mich würdig erweise, ohne jemanden in Gefahr zu bringen!
Doch die Nacht verstrich, ohne dass sich die Heilige offenbarte.
Und auch Gott, den er inständig um Rat bat, schien zu beschäftigt, um einem jungen angehenden Ritter zu antworten oder ihm wenigstens einen Fingerzeig zu geben.
Während der ersten Nachthälfte waren ab und an Besucher in die Kirche gekommen. Doch mittlerweile war es so still, dass Thomas zusammenzuckte, als er einen hellen Vogelruf hörte, der das Nahen des Tages ankündigte.
Mühsam versuchte er, sich mit seinen erstarrten Gliedern einigermaßen würdevoll aufzurichten, denn er hörte den jungen Benediktiner wiederkommen. Thomas erkannte ihn schon an dem schlurfenden Geräusch seiner Holzpantinen.
Da er wusste, dass Mönche möglichst wenig Worte verschwenden sollten, ausgenommen Gebete natürlich, drehte er sich zu ihm um und begrüßte ihn höflich.
Der junge Geistliche, der nun noch müder wirkte und die Schultern hochgezogen hatte, weil er wohl trotz der übergestülpten Kukulle fror, führte ihn durch das erwachende Heerlager zu dem großen Zelt mit dem Banner des Bistums Meißen. Dann bedeutete er Thomas, zu warten, und ging hinein.
Verstohlen sah Christians Sohn um sich und zog dabei Kleider und Gürtel zurecht. Er hatte keine Ahnung, was ihm heute alles noch bevorstehen konnte, welche Prüfungen er zu bestehen hatte und wer ihm Schwert und Sporen reichen würde. Üblicherweise tat dies der Vater oder ein Onkel. Doch sein Vater war tot, sein Stiefvater vielleicht auch oder gefangen in Albrechts Kerkern, wenn er sich nicht irgendwie herauswinden konnte. Und Oheim hatte er keinen.
Der Mönch mit der schiefen Tonsur kam aus dem Zelt wieder heraus und bedeutete Thomas, einzutreten. Der Wind rüttelte an den Leinwänden, und der Benediktiner umklammerte die Stoffbahn am Eingang mit beiden Händen, damit sie nicht davonflatterte.
Das Zelt war in der Mitte durch einen Vorhang geteilt, der vordere Teil leer. Der Mönch zeigte dorthin, ging ohne ein weiteres Wort und befestigte von draußen die lose Zeltbahn.
Nun erkannte Thomas, dass sich hinter dem Vorhang die Umrisse eines sitzenden Mannes abzeichneten.
Also kniete er davor nieder und sagte die gewohnten Worte: »Vergebt mir, Vater, denn ich habe gesündigt …«
Ungewollt zuckte er zusammen, als er ganz dicht an seinem Ohr die wohlklingende Stimme Bischof Martins hörte.
Doch dann entspannte er sich, so gut es eben während einer Beichte ging. Die Zeremonie war ihm vertraut, und sein Eingeständnis der Unkeuschheit schien den Bischof nicht übermäßig zu erschüttern. Wahrscheinlich bekam er im Feldlager, wo Tausende Männer ohne einen einzigen Weiberrock lebten, so etwas andauernd zu hören.
Dennoch – Wallfahrer hatten Keuschheit zu geloben, und deshalb nahm Thomas die Ermahnungen des Beichtvaters schuldbewusst entgegen.
Als Nächstes musste er den Ungehorsam gegenüber seinem Stiefvater bekennen. Immerhin hatte er Lukas in der Nacht vor seiner Flucht aus Freiberg angeschrien und wäre beinahe auf ihn losgegangen.
»Ich misstraute seinem Urteil und machte mich der Sünde der Überheblichkeit schuldig«, erklärte Thomas etwas verschwommen den Grund dieses Streites.
Der Zwischenfall schien den Bischof lebhaft zu interessieren. So sehr, dass er sich vorbeugte und dadurch den Vorhang bewegte.
Vielleicht hatte es nichts zu bedeuten, vielleicht hatte Martin nur die Haltung verändert, um bequemer sitzen zu können. Aber für den ohnehin schon misstrauischen Thomas war dieses leichte Schwingen des Vorhangs, als würde jemand mit aller Kraft eine Flagge schwenken, die höchste Gefahr signalisierte.
Ich darf den Plan nicht verraten, den sich Lukas und Reinhard ausgedacht haben, um meine Schwester zu retten!, dachte Thomas, während sich etwas in seinem Inneren verkrampfte. Nicht einmal während der Beichte! Auch wenn ich Reinhard nicht traue.
»Ich glaubte in meiner Eitelkeit, meinen Stiefvater im Zweikampf mit dem
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