Der Fluch der Hebamme
Schwert besiegen zu können«, log er und hoffte, Martin würde ihm diese Erklärung abnehmen. Lukas hatte einen ausgezeichneten Ruf als Schwertkämpfer, das dürfte auch der Bischof wissen – und ebenso, dass jeder junge Bursche auf dem Burgberg davon träumte, ihn einmal besiegen zu können und dadurch Ruhm zu erlangen.
Christians Sohn fühlte sich beschmutzt durch diese Lüge.
Doch mit Martins nächsten, bohrenden Fragen schwand jegliches schlechte Gewissen in ihm, denn sie hatten nicht das Geringste mit ihm und seiner bevorstehenden Schwertleite zu tun.
»Besucht deine Mutter regelmäßig die Messe? Spricht sie Gebete, bevor sie jemandem einen Trank mischt? Verfügt sie über besondere Kräfte? Zum Beispiel, sich unsichtbar zu machen oder ungesehen von einem Raum in einen anderen verschwinden zu können?«
Er will meine Mutter vernichten!, dachte Thomas, während ihm eiskalt wurde. Dies hier war jetzt keine Beichte mehr, sondern ein Kampf – ein Kampf mit einem übermächtigen Gegner.
Und deshalb fühlte sich Thomas auch nicht mehr schlecht, als er ehrlich verwundert antwortete, dass seine Mutter selbstverständlich regelmäßig zur Messe ginge, vor jeder Behandlung Gott um Heilung für die Kranken bat und über keinerlei widernatürliche Kräfte verfüge.
Das ist die Wahrheit!, dachte er trotzig in das unheilvolle Schweigen des Bischofs hinein. Deshalb ist es keine Sünde, was ich hier tue.
Bischof Martin – ehrgeizig, klug und für seine Unnachgiebigkeit ebenso geschätzt wie gefürchtet – hatte Mühe, sich seine Unzufriedenheit angesichts dieser Antwort nicht anmerken zu lassen.
Es gab wenig, das ihm in seiner Diözese entging. Doch ein rätselhafter Zwischenfall, der sich gleich zu Beginn seiner Amtszeit in den tiefsten Gründen des Meißner Bischofspalastes zugetragen hatte, war bis heute nicht aufgeklärt. Dabei ging es um nichts Geringeres als darum, entweder eine Unschuldige zu retten oder eine Teufelsbuhlerin zu entlarven und zu vernichten, damit sie nicht noch mehr Schaden verursachen konnte.
Weder Nachforschungen noch Bestechung hatten die Sache erhellen können, die ihm selbst nach all den Jahren nicht aus dem Kopf gehen wollte. Und so willfährig ihm auch der Freiberger Pater dabei zur Hand ging, ließ sich dieser Marthe nichts nachweisen – die nach wie vor behauptete, sich nicht erinnern zu können, wie sie damals aus dem Verlies entkommen war. Das war ganz gewiss eine Lüge.
Vor Jahren schon war er zu der Einsicht gelangt, es wäre für alle das Beste gewesen, wenn das Weib damals bei der Probe auf dem kalten Wasser ertrunken wäre, wie es sich für eine fromme Christin gehört. Das hätte jeglichen Zweifel getilgt. Doch leider war sie auf wundersame Art wieder zu Leben erwacht, nachdem man sie vermeintlich tot aus dem Wasser gezogen hatte. Und wenig später verschwand sie auf ungeklärte Weise aus dem Kerker.
Seitdem hatten ihre Ehemänner – erst Christian, dann Lukas – listig dafür gesorgt, dass sie unerreichbar für ihn blieb. Nun hatte der Allmächtige ihm ihren Sohn in die Hände gespielt. Das war Gottes Dank dafür, dass er diese mühselige Pilgerfahrt auf sich genommen hatte! Der Herr würde ihm den Weg weisen, die Sünderin zu überführen.
Lärm von draußen unterbrach die triumphierenden Gedanken des Bischofs. Man erwartete, dass er die Frühmesse feierte, damit das Heerlager aufbrechen konnte. Er musste das hier vorerst beenden.
Aber dieser Bursche würde ihm nicht mehr entkommen.
Vielleicht sollte er einen seiner Gewährsleute beauftragen, heute Abend mit Christians Sohn die Erhebung in den Ritterstand bei einem Umtrunk zu feiern. Im Rausch waren schon viele Geheimnisse ausgeplaudert worden.
Dafür musste er ihn nur in Sicherheit wiegen.
Großzügig sprach er also Thomas von seinen Sünden frei und schickte ihn hinaus. Für die ungerechtfertigt gewährte Absolution würde er schon keinen Zwist mit seinem obersten Lehnsherrn im Himmel bekommen, da sie einem höheren Zweck diente. Schließlich gab es Sündenablass für jeden Wallfahrer, und von denen hatten sich etliche wahrlich schlimmerer Vergehen schuldig gemacht.
Schwertleite
I n der Kühle des Morgens versammelten sich die Gefolgsleute des Grafen von Weißenfels zum morgendlichen Gebet. Thomas war im Zweifel, ob er mit ihnen gehen sollte, nachdem er das Zelt des Bischofs verlassen hatte. Vielleicht erwartete man ihn bereits bei den Knappen des Kaisers, damit ihm dort einer der Lehrmeister das
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