Der Fluch der Makaá
tot!“
„Aber ihr Zauber ist noch immer lebendig!“, protestierte ich heftig. „Und ob Geister oder nicht, wir werden sie aufspüren! Wir haben noch eine Rechnung mit ihnen offen…“ Kaum zu glauben, dass ich diese Worte voller Überzeugung von mir gab. Schließlich war ich diejenige, die noch vor einigen Tagen geschworen hätte, es gäbe keine Zauberei – und keine Geister! Im gleichen Atemzug zog ich die Zeitungsberichte aus meiner Hosentasche und warf sie Bley in den Schoß. Er brauchte nicht lange, um zu begreifen, und sein Erstaunen war groß. „Das seid ihr?“, fragte er langsam. „Die schreiben über euch?“
„Ja, sie schreiben über uns“, fauchte ich. Im Nachhinein weiß ich gar nicht, weshalb ich so aufgebracht war. Wahrscheinlich kochte in mir nur alles hoch, was sich über die letzten Tage aufgestaut hatte.
Bley blieb ob meiner Aufgeregtheit gelassen und überflog stattdessen noch einmal die Meldungen. „Eure Eltern haben die gefälschte Odalisque entlarvt. Sie sind die Kunstexperten“, bemerkte er anerkennend.
„Die besten“, fügte Oliver bescheiden hinzu. „Und deswegen hat man sie auch entführt.“
„Entführt?“, rief Bley bestürzt. „Seid ihr sicher? Aber wer…?“
„Es reicht“, ging Mateo dazwischen. „Es reicht jetzt. Ich glaube, unser Freund hat für heute genug erfahren. Ich würde vorschlagen, wir versuchen jetzt ein wenig zu schlafen und konzentrieren uns morgen wieder auf unsere Aufgabe. Jeder auf seine eigene.“ An dieser Stelle warf er im Schein des Lagerfeuers unserem Gast einen unmissverständlichen Blick zu und Bley begriff nur zu gut, dass, wenn es nach dem Indianer ging, seine Aufgabe darin bestand, sich gleich morgen früh auf den Abstieg zu begeben, und uns und den Fluch der Makaá tunlichst zu vergessen. Doch gleichzeitig wussten wir, dass Bley diesem Wunsch nicht nachkommen würde.
Ich schlief lange nicht ein. Mein Körper verlangte danach, sich unruhig von einer Seite auf die andere zu wälzen, doch ich zwang mich, liegen zu bleiben, um die anderen nicht zu wecken.
Über den felsigen Gipfeln des Tafelberges zerriss immer wieder der gelbe Mond das Schwarz des leicht bewölkten Himmels. Manchmal flammte ein Stern auf, nur um kurz darauf wieder von einer Wolke verschlungen zu werden. Es fehlte nur noch ein knappes Viertel bis Vollmond. Was würde passieren, wenn wir das Ei am nächsten Tag nicht finden sollten? Nein, darüber wollte ich im Augenblick nicht nachdenken. Eigentlich wollte ich an gar nichts denken, nur schlafen… schlafen…
Der Übergang zwischen Wachen und Träumen ist schleichend. Meistens nimmt man ihn gar nicht wahr, und so kam es, dass, als ich die Odalisque vor mir stehen sah, sie für eine Täuschung meiner übermüdeten, obgleich noch immer wachen Sinne hielt. Sie tauchte etwa fünfzig Meter von mir entfernt hinter einem glitzernden Felsen auf, über den ich meine müden Augen hatte schweifen lassen, und ich hätte sie mit Sicherheit übersehen, wenn nicht in diesem Augenblick eine Wolke vor dem Mond zurückgewichen wäre, und dessen schales Licht – nur einen Moment – die roten Pluderhosen erleuchtet hätte. Dann war wieder alles dunkel, und die Odalisque meinem Blick entschwunden.
Ich richtete mich in meinem Schlafsack auf und stierte an die Stelle, an der das Rot aufgeflammt war. Bewegte sich da etwas?
Langsam, ganz langsam schälte sich der Umriss einer Figur aus dem Dunkel der Nacht und bewegte sich auf unser kleines Lager zu. Ich hatte mich also nicht getäuscht! Die Odalisque war hier! Sollte ich die anderen wecken? Die Frage wurde von der Frau aus dem Orient sofort beantwortet. Sie hob einen zierlichen Finger und legte ihn auf die gespitzten Lippen. Innerlich taumelnd gehorchte ich ihr und wartete mit kribbelnder Erregung ab, was geschehen würde. Ein paar Meter vor mir blieb sie stehen und neigte ihren Kopf leicht zur Seite. Ein weiteres Mal erleuchtete der Mond ihr Antlitz, und ich kann nicht verschweigen, dass es mich zutiefst erschütterte, die schöne Frau aus dem Gemälde Matisse’ so vollkommen anders zu sehen als ich sie in Erinnerung hatte. Das einstmals seidige schwarze Haar fiel lose und ohne Glanz in die blasse Stirn. Ihre Augen, tellergroß und dunkel umrandet, blickten mit einer solchen Wehmut, dass es einem das Herz zuschnürte. Ihren Oberkörper hatte sie in einen matten, schmucklosen Schleier gehüllt, der für eine Tänzerin wie sie unwürdig sein musste.
Was war bloß mit ihr
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