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Der Fluch der Makaá

Der Fluch der Makaá

Titel: Der Fluch der Makaá Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Talbiersky
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geschehen?
    Als hätte sie meine Gedanken erraten, stahl sich ein trauriges Lächeln auf ihr bleiches Gesicht und sie deutete auf die triumphierende Scheibe oben am schwarzen Nachthimmel. Ich verstand: Je mehr der Mond an Leben gewann, desto mehr schwand ihr eigenes.
    „Du musst mir helfen“, bat die Odalisque. Sie sprach die Worte, und dennoch erinnere ich mich nicht an ihre Stimme.
    „Das will ich ja“, versicherte ich ihr. „Doch ich weiß nicht, ob die Zeit reicht.“
    Mit einer sanften Bewegung – hier zeigte sich auch jetzt noch die orientalische Tänzerin – reichte sie mir die Hand und gebot mir ihr zu folgen. Wie berauscht glitt ich aus meinem Schlafsack. Leicht- und barfüßig schien die Odalisque mehr zu schweben, denn zu laufen. Ich beeilte mich mit ihr Schritt zu halten, vergaß dabei auf den Weg zu achten, und stieß einmal hart mit dem Zeh gegen einen Stein. Wie froh war ich, als die Frau plötzlich stehen blieb und den Finger auf eine Felswand richtete, die mir nur zu bekannt vorkam. Etwa einen halben Meter unter der Böschung gähnte ein schwarzes Loch im Felsen, ein länglich gezogener steinerner Mund mit ausgefransten, spröden Lippen.
    Die Odalisque neigte anmutig den Kopf und fing aus der Bewegung heraus an zu tanzen. Mit geschlossenen Augen wiegte sie sich im Höhenwind hin und her. Sie war so blass und dünn – wie eine Feder und ebenso leicht. Daher wunderte es mich nicht als ihr Tanzen in Schweben überging. Ein harmonisches Zusammenspiel aus Luft und Klängen einer süßen Musik trug Matisses Dame höher und höher, bis sie schließlich auf dem Gipfel des Felsens mit einer letzten grazilen Drehung zum Stehen kam.
    Hoch oben stand sie nun, gekrönt von Wolken, die der Mond beschien, und mit ausgebreiteten weißen Armen. Der Wind bauschte ihre roten Pluderhosen zu zwei dunklen Segeln auf, und das lange, schwarze Haar umwehte ihren Kopf.
    Trunken von dem seltsamen und gleichsam wunderschönen wie auch traurigen Anblick stand ich regungslos da und konnte meine Augen nicht abwenden von diesem Bild, sodass ich nicht gewahrte, dass sich der Berg unter unseren Füßen zu regen begann. Und das, was dann geschah, war unerklärlich, und ich fühlte, dass es ein Omen war, ein Zeichen bestimmt für mich und meine Brüder – ein Blick in die Zukunft, zu dem, was geschehen würde, wenn unsere Expedition versagte.
    Es ist mit dem Schönen wohl so wie mit dem Schrecklichen. Man muss es anschauen, anstarren, immerfort. Und während man sich wünscht, dem Schönen zu gleichen, es sein eigen nennen zu dürfen, so mahnt der Verstand, vom Schrecklichen zu lassen und sich abzuwenden. Und doch ist man völlig in seinem Bann.
    So war es auch mit mir, als sich das wehmütige Lächeln der Odalisque in roten Hosen zu einer grässlichen Grimasse verzog, die in ein schallendes und unmenschliches, wenn nicht teuflisches, Gelächter überging, das vom Grollen im Inneren des Berges aufgenommen und übernommen wurde. Und während die Erde unter meinen Füßen bebte, brach sie unter der Odalisque vollständig auseinander, und dort wo sie sich öffnete, schossen schwarze, lebendige Funken aus dem Berg, die sich schnatternd und flügelschlagend unter das Getöse mischten. Fledermäuse! Hunderte! Tausende! Sie hüllten die schwankende Odalisque ein, brachten sie zu Fall, und erst jetzt kam der Moment, in dem ich mich aus meiner steinernen Erstarrung löste, und mit einem schauerlichen Schrei der Felswand entgegenstürmte, den Arm wie im Wahn gestreckt, um die Taumelnde, Stürzende aufzufangen.
    Es kam nie dazu. Ich stolperte, fiel hin, und als ich den Felsen hinaufblickte, zerbarst er in tausend Stücke. Dann wurde alles mit einer dunklen Wolke aus kreischenden Nachtwesen zugedeckt.
    „Nein!“, rief ich und reckte die Arme empor. „Nein!“

I ch saß aufrecht im Schlafsack, die Arme erhoben. Die Nacht war nur noch wie ein Schleier und der Morgen grau und nicht mehr fern.
    „Was ist los, Mel?“, riefen alle gleichzeitig, als sie aus ihrem Schlaf gerissen wurden. Ich atmete zweimal kräftig durch und rieb mir die Augen. Ruckartig drehte ich mich um und schaute auf die Stelle wo ich die Odalisque aus dem Schatten der Nacht hatte treten sehen. Nur ein grauer Felsen ragte dort auf. Von der Frau in den roten Hosen keine Spur.
    „Habt ihr… Habt ihr nicht…? – Ach, es ist nichts“, wisperte ich und fuhr mir mit der Zunge über die trockenen Lippen. „Ich hatte nur mal wieder einen Albtraum. Lasst uns noch ein

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