Der Fluch der Makaá
sich mit kleineren Jobs über Wasser, und suchte für verschiedene Auftraggeber aus der Luft nach Goldlagerstätten. Allerdings mit wenig Erfolg. Bis er eines Tages etwas entdeckte, was schöner glänzte als alles Gold der Welt. Bei einem seiner Rundflüge flog er über das Plateau des Auyán Tepuy. Es war früher Morgen, die Sonne war gerade aufgegangen, und als er an den Rand des Tafelberges kam, strömte ein gewaltiger Goldregen an der Ostseite des Berges hinab. Er hatte den Wasserfall entdeckt. Der Anblick war so überwältigend, dass Jimmy für kurze Zeit alles um sich herum vergaß und meinte, El Chorro käme vom Himmel. Er schätzte ihn auf etwa 500 Meter, später wurde seine Höhe auf 936 Meter korrigiert, bis sich kürzlich bei genauen Messungen herausstelle, dass allein die freie Fallhöhe 1005 Meter beträgt. Dies macht die Angel Falls zum höchsten Wasserfall der Erde.
Im selben Jahr musste Jimmy auf dem Plateau notlanden. Die Motoren seines Kleinflugzeuges waren ausgefallen. Der Absturz der Maschine wurde durch ein Sumpfgebiet auf der Hochebene abgefedert und die Maschine blieb im Morast stecken. Es half alles nichts: Er musste den Berg zu Fuß verlassen – und nicht nur er, sondern auch seine Frau, der venezolanische Ingenieur Henry und dessen Gärtner, die alle mit an Bord gewesen waren. Nach elf harten Tagen erreichten sie endlich wieder die Zivilisation und ihre Reise hatte ein Ende. Die Geschichte dagegen trat ihre Reise gerade erst an: Die ganze Welt nahm Anteil an Jimmy Angels Abenteuer. Seine Karriere war auf dem Höhepunkt, seine Popularität groß, doch er entpuppte sich bald als Antiheld und tat weiterhin das, was er am liebsten machte, wenn es auch nicht gerade das war, was er am besten konnte: Fliegen. Und zwar ohne sich dabei großartig um die Regeln des Flugverkehrs zu scheren. Bald schon brachte ihm seine unverfrorene Fliegerei viel Kritik ein. 1942 galt er wochenlang im Urwald von Guayana als verschollen – und als er schließlich wieder auftauchte, waren sich die Behörden einig: ein Flugverbot wurde über Jimmy verhängt. Die Folge war, dass unser Jimmy Venezuela den Rücken kehrte, und seine Laufbahn als Bruchpilot in Panama fortsetzte. Ich kenne keinen anderen Piloten, der so oft notlanden musste wie Jimmy Angel. Den letzten Absturz bezahlte er mit dem Leben. Seine Asche wurde hier über dem Salto Angel verstreut.“
Carlos hatte mehrfach Pausen eingelegt, um das Flugzeug immer wieder in die richtige Position zu lenken. Doch noch mehr hatte er in diesen Pausen erledigt. Aber das alles war unseren Blicken entgangen.
„Wie traurig“, murmelte ich und blickte dem Wasser nach, das unaufhörlich in die unglaubliche Tiefe stürzte. Meine ganze Familie hatte Carlos’ Worten fasziniert zugehört, während der Salto Angel uns in seinen Bann gezogen hatte. Wir alle hingen unseren Gedanken nach und lauschten beinahe wehmütig dem Rauschen des Wasserfalls, der auf eigene Weise dem tragischen Ende seines Namensgebers gedachte.
Unwirklich und wie von Ferne drang plötzlich Carlos’ dröhnendes Gelächter an mein Ohr. Ich zuckte vor Schreck zusammen, da ich glaubte, die Dämonen des Höllenberges hätten sich in unser Flugzeug geschlichen, so gespenstisch klang es. „Traurig meinst du? Ich sage dazu: gerecht! So ist das nun mal, wer nicht hören will, muss fühlen, und wer sich zu weit aus dem Fenster lehnt – stürzt ab!“
Ich glaube, erst der kräftige Windstoß, der orkanartig durch das Flugzeug strömte, riss uns in die Realität zurück. Carlos hatte die Flugzeugtüre an seiner Seite aufgestoßen, die Füße waren über das Trittbrett geschwungen. Über seine Weste hatte er einen Fallschirm geschnallt. „Carlos – was in aller Welt…?“
Unserem blanken Entsetzen begegnete der Mann mit einem Ausdruck in den Augen, den ich nie vergessen werde. Carlos war nicht wieder zu erkennen. So plötzlich wie das Wetter umzuschlagen vermochte, hatte sich seine herzliche, frische Art in eisige Kälte und abgrundtiefe Verachtung verwandelt. Der Wind riss und zerrte an Carlos’ Kleidung und trotz meiner lähmenden Benommenheit wusste ich: Gleich springt er! „Adios amigos“, grölte Carlos.
Dann überschlugen sich die Ereignisse: Genau in dem Moment, als Carlos absprang, schnellte mein Bruder Robert, der auf dem Copilotensitz saß, mit einem markerschütternden Schrei zur Seite und bekam Carlos am Arm zu packen. Ich glaube, nur die schreckliche Ahnung, was mit uns allen passieren würde,
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