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Der Fluch der Makaá

Der Fluch der Makaá

Titel: Der Fluch der Makaá Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Talbiersky
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mal schwimmen“ beschwingt aus der Hütte.
    Bei hellem Tageslicht wirkte das Dorf noch einmal anders als im Zwielicht und bei Dunkelheit. Kreisförmig umrahmten die Hütten einen großen, staubigen Dorfplatz, der das Zentrum von Uruyén bildete. Ich schätzte die Einwohnerzahl auf etwa 100, von denen die Sonne fast jeden vor die Tür gelockt hatte. Überall saßen und standen Indianer vor ihren Hüttentüren, putzten, machten die Wäsche oder spielten mit den Kindern.
    Ich spürte ihre Blicke wie Feuer auf meiner Haut. Sie sind nur neugierig , sagte ich mir, das wärst du auch an ihrer Stelle, also: nimm es gelassen . Ich lächelte jedem freundlich zu und nickte zum Gruße. Die meisten Menschen erwiderten das Lächeln, und einige Kinder kamen sogar zu mir, um mit mir zu sprechen. Da wir einander jedoch nicht verstanden, strahlten sie mich einfach an, wortlos, was mir sehr gut tat.
    Ein Mädchen mit langen, pechschwarzen Haaren und Augen wie Perlen, sie mochte vielleicht in Olivers Alter sein, malte mit dem Finger eine geschwungene Linie in die Luft und blickte mich fragend an. „Ja, ich will zum Fluss“, nickte ich eifrig. Sofort ergriff sie meine Hand und zog mich in die richtige Richtung. Ich war dankbar, dass sie mir den Weg zeigte, denn ich hatte am Vorabend ganz vergessen ihn mir einzuprägen.
    Wie eine silberne Schlange wand sich der breite Fluss durch das weite Land. Der Himmel spiegelte sich in dem klaren, ruhigen Wasser wider, sodass man fast meinte, ein Stück seiner blauen Unendlichkeit wäre auf die Erde herabgekommen, um mit ihr ein heiliges Bündnis zu schließen. Helles Grün erstreckte sich bis zum weiten Horizont, wo es zum faden Blau des Himmels einen beinahe nahtlosen Übergang fand. Mit seiner ebenmäßigen Unermesslichkeit weckte der atemberaubende Ausblick auf die venezolanische Savanne ein unbeschreibliches Gefühl in mir. Mein Herz wurde froh und leicht angesichts der Weite, doch gleichzeitig überkam mich eine beklemmende Traurigkeit, und ich fühlte mich klein und verlassen in einer riesigen, fremden Welt. Wie kein anderer Ort konnte dieser grüne Flecken Erde dem Menschen mehr die Tatsache ins Bewusstsein rufen, dass wir alle, ganz gleich welcher Herkunft, nur Besucher waren, herbeigeeilt auf Bitten eines geheimnisvollen Gastgebers. Kurzweilige Touristen auf einem blauen Planeten namens Erde, nicht wissend, wie wir hierher gelangt waren, und ohne zu ahnen, wohin uns die Reise einmal führen würde.
    Behutsam zupfte mich das Indianermädchen am Ärmel und holte mich lächelnd zurück in die Realität. Ich folgte ihr die flache Böschung hinunter zu einer sandigen Bucht, wo sie mir das T-Shirt aus der Hand nahm und es vorsichtig auf dem Boden ausbreitete. Mit einer einladenden Geste deutete sie auf den Fluss. „Danke“, sagte ich. „Ähm – gracias.“ Die Augen des Mädchens leuchteten bei dem vertrauten Wort vergnügt auf. „De nada!“, strahlte das Kind. Dann hüpfte es lachend den Weg zurück zum Dorf.
    Das Wasser war so glatt, dass ich eher das Gefühl hatte, in einen See zu steigen als in einen Fluss. Mit jedem Schritt über den schlammigen Grund warf ich kleine Wellen auf, die sich glucksend am Ufer brachen. Keine Menschenseele war weit und breit zu sehen, und so zog ich mich bis auf die Unterwäsche aus.
    Das kühle Wasser war eine Wohltat. Es betäubte die zahlreichen Mückenstiche und legte sich behutsam wie ein feuchter Verband um die Blasen an den Füßen. Mit einem wohligen Seufzer ließ ich mich ins Wasser fallen und versuchte ein paar Schwimmzüge. Das Wasser glitt durch meine Finger wie Seide. Erst nachdem ich ein paar Runden geschwommen hatte, begann ich, mich wirklich zu waschen. Um auch die Haare zu säubern, tauchte ich einmal ganz unter, und als ich wieder an die Oberfläche kam, stand Mateo am Ufer und lachte mich mit einem breiten Grinsen an. Am liebsten wäre ich wieder untergetaucht, doch da es mir unhöflich erschien, blieb ich stattdessen bis zum Hals im Wasser und war nun inständig froh, dass ich nicht meinem ersten Impuls gefolgt war, mich ganz auszuziehen.
    „Da bist du also!“, rief Mateo zu mir rüber. „Ich hatte schon Angst, du wärst ertrunken!“
    „Ich doch nicht“, entgegnete ich.
    „Vielleicht kannst du das hier gebrauchen!“, rief Mateo und winkte mit einem Stück Seife, das er mir zuwarf. Ich fing sie auf. „Vielen Dank“, sagte ich und tauchte erneut unter, um Mateo die Gelegenheit zu geben, sich zwischenzeitlich zu entfernen. Er

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