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Der Fluch der Makaá

Der Fluch der Makaá

Titel: Der Fluch der Makaá Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Talbiersky
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drückte, geworden. Robert zog seinen roten Rucksack zu sich heran und hob vorsichtig seinen Skizzenblock heraus. Ein paar seiner Bilder lagen lose in dem Block herum, er musste sie erst beiseite legen, bevor er die Seite aufschlagen konnte, auf der das Bild zu sehen war, das er zuletzt gemalt hatte: Carlos’ Brandmal.
    Mit den Worten „Das ist unser einziger Hinweis“ reichte Robert Mateo den Block und ließ den jungen Indianer einen Blick darauf werfen. „Der weiße Fleck in der Mitte müsste eigentlich rot sein, aber ich hatte keine Farben dabei“, fügte er rasch hinzu. Mateos Augen flogen mit einem Eifer, der jenseits eines wachen Interesses war, über das Bild, folgten jeder einzelnen Linie zu ihrer vollendeten, verschlungenen Form, flitzten in jede schattierte Ecke und ruhten schließlich starr und beinahe ausdruckslos auf dem weißen Kreis in der Mitte, dessen Füllung eigentlich rot war.
      Da ich Mateos Gesicht während seiner Beobachtungen genau studierte, entging mir der dunkle Schatten nicht, der rasch über sein Gesicht huschte, um dieses blasser zurückzulassen, als es zuvor gewesen war. Mateo holte Luft und machte Anstalten, etwas zu sagen, doch dann, als hätte er es sich besser überlegt, ließ er es bleiben. Gespannt blickten Robert und ich den jungen Indianer an. Wir beide fühlten nur zu gut, dass er etwas vor uns verbarg. Gerade wollte ich ihn nach seinem Schweigen fragen, da brach er es, indem er mit leiser, ernster Stimme Robert fragte: „Hast du das gemalt?“
    Robert nickte und hielt dem bohrenden Blick Mateos stand.
    „Wie kommst du zu diesem Symbol?“
    Hatte Mateo wirklich gerade Symbol gesagt? Die Neugierde mobilisierte meine letzten Energiereserven. Erwartungsvoll rutschte ich auf die Stuhlkante. Also sollte mein Vater einmal mehr recht behalten: es war ein Symbol – und womöglich noch ein indianisches dazu!?
    „Ich habe es gesehen“, antwortete Robert und schlug einen ebenso ruhigen Tonfall an wie sein Gegenüber. Mateo fuhr sich mit der Zunge über die Lippen als verspürte er eine plötzliche Trockenheit im Mund. „Und du bist dir ganz sicher, dass es exakt das war, was du gesehen hast? Genau dieses Bild hier?“
    „Ja“, entgegnete Robert nun etwas gereizt. „Warum fragt mich das denn jeder?“
    „Und wo hast du es gesehen?“, fragte der Indianer.
    „Spielt das eine Rolle?“, erwiderte Robert knapp.
    Was soll ich sagen, mein Bruder ist ein Künstler durch und durch, und selbst wenn er die Ruhe in Person ist, so kann er doch eines nicht leiden: und zwar, wenn man seine Kunst in Frage stellte. Diesen Fehler hatte Mateo, wenn auch unwissentlich, begangen und spürte nun die Konsequenzen.
    „Vielleicht“, entgegnete Mateo. Es war weniger Roberts plötzliche Distanziertheit, als ein von ihm gehegter Gedanke, der ihn hatte einsilbig werden lassen. Er warf erneut einen Blick auf die Kohlezeichnung und erhob sich dann abrupt vom Stuhl. „Darf ich das für einen Moment haben?“, fragte er Robert. „Ich bring es auch gleich wieder zurück.“
    Mein Bruder erteilte ihm großzügig die Erlaubnis, und Mateo ließ uns allein in der Hütte zurück. Bevor er verschwand, drehte er sich im Türrahmen noch einmal um, hob den Skizzenblock hoch und lächelte anerkennend: „Übrigens, Robert: das Bild ist wirklich hervorragend gemalt!“
    Als die Indianerfamilie in die Rundhütte zurückkam, fand sie uns mit den Köpfen auf der Tischplatte. Die Erschöpfung hatte über uns gesiegt. Im Halbdunkel zwischen Wachen und Schlafen nahm ich noch wahr, wie die Frau uns zu Bettlagern führte. Ich wunderte mich noch, ob ich diejenige war, die schwankte, oder ob es das Bett war. Da es sich aber so angenehm anfühlte, als läge ich in einer Wiege, war es mir egal.
    Kurz darauf fiel ich in einen so tiefen Schlaf, wie ihn nur ein Mensch schlafen kann, der anstrengende Nächte hinter sich und aufregende Tage vor sich hat.

D er Museumssaal war wie verwandelt: An den Wänden flammte ein Kerzenmeer auf, das eine Welle warmes, gelbes Licht durch den Flur rollen ließ. Der sonst so kahle Fußboden war bedeckt mit unzähligen dicken, samtweichen Sitzkissen, und der süße Duft von frischem Pfefferminztee mit Mandeln erfüllte den Raum. Ich war nicht die einzige Besucherin an diesem Abend. Als ich mich mit verschränkten Beinen auf ein nachtblaues Kissen niederließ, war es das letzte, das noch frei war. Die Leute waren zahlreich erschienen, und ein Hauch erwartungsvoller Spannung lag in der Luft,

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