Der Fluch der Makaá
gab. Ein paar Stämme, unter ihnen die Waraos, die es heute noch gibt, siedelten am Flusslauf des Orinoco, wo sie Hütten auf Stelzen bauten und Fischfang betrieben. Andere Stämme, wie z. B. die Yanomami bevorzugten die Tiefen und Schatten des Urwaldes als Lebensraum, in denen sie Vögel und Schlangen jagten und auf diese Weise für ihre Ernährung sorgen konnten. Bäuerlich ging es an den Berghängen und in der Savanne zu: Das Volk der Kamarakoto-Indianer, meine Leute, bauen in den fruchtbaren Ebenen noch immer Yucca und Kava für den Eigenbedarf an. Einige Dinge haben sich über Jahrhunderte nicht verändert, andere dagegen sehr. Aber lasst uns noch ein wenig in die Vergangenheit blicken. Ihr seht: schon immer haben sich die Indianer ihrer Umgebung angepasst, sie waren Bauern, Jäger, Fischer, Handwerker. Doch manchen unter ihnen war das nicht genug. Sie erwarteten mehr vom Leben und forderten die Götter heraus. Sie sehnten sich nach Gelegenheiten, ihren Mut, ihre Stärke und Intelligenz beweisen zu können. Man erzählt, dass junge Männer mit Jaguaren gerungen haben und sich auf einen längeren Zeitraum immer wieder von Giftschlagen haben beißen lassen, bis sie gegen das Gift immun waren. Sie stürzten sich von Felsen, durchquerten tödliche Sümpfe, und fanden ihre Grenzen nicht. Diese wenigen Indianer, die Ruhe gegen Rastlosigkeit, Sicherheit gegen Gefahr und Leben gegen Tod einzutauschen wünschten, schlossen sich eines Tages zu einem Bund zusammen. Nur die Mutigsten und Tapfersten durften ihm beitreten, nachdem sie schlimmste Prüfungen überstanden hatten. Wurden sie in die Gemeinschaft aufgenommen, so war dies an eine Bedingung geknüpft: sie verschrieben ihr Leben diesem Geheimbund, nie wieder durften sie zu ihren Stämmen zurückkehren, und nie wieder am normalen Leben teilhaben. Von Stund an waren sie dazu verdammt, ein Schattendasein zu führen. Sie waren das Licht des Tages und die Dunkelheit der Nacht. Sie witterten Gefahr schon dann, wenn sie sich noch im blassen Dunst des Morgennebels zusammenbraute, und sie eilten ihr entgegen – mit erhobenem Haupt und offenen Armen. Sie kämpften gegen die Karibe, die in Venezuela einfielen und sich wie Heuschrecken in das Landesinnere fraßen. Gelegentlich halfen sie einzelnen Indianerstämmen, ergriffen mal für die eine Seite, mal für die andere Partei. Doch niemand konnte sie jemals zur Hilfe verpflichten. Wenn sie kamen, dann aus freien Stücken, und es lag bei ihnen, wann sie wieder gingen. In dieser Gemeinschaft war jedes Mitglied gleichwertig – es gab nie einen Anführer. Entscheidungen wurden von der Mehrheit getroffen, und diese wurden nie in Frage gestellt. Sie waren Meister der Magie, beherrschten die weiße wie auch die schwarze. Furcht, Schmerz wie auch Moral war ihnen unbekannt. Gesetze galten für sie nicht, sie hatten ihre eigenen Regeln. Nichts war ihnen zu gefährlich, kein Felsen zu hoch, keine Ebene zu weit und kein Hindernis zu schwer. Längst schon waren sie jenseits von Gut und Böse.
Manchmal kam es vor, dass Leute einfach verschwanden, aus ihren Hütten, aus ihren Dörfern, ohne dass man sie je wieder sah oder von ihnen hörte. Dann hieß es, die Unerschrockenen, wie sie auch genannt wurden, hätten sie geholt, doch niemand konnte sagen wieso und weshalb. Manche vermuteten, sie würden die Menschen versklaven, oder, was in jener Zeit nicht unüblich war, opfern, um die Götter zu besänftigen. Doch das sind Spekulationen, für die es nie Beweise gab. Eines Tages jedoch begingen sie einen schweren Fehler. Ein junger Mann wurde in ihren Kreis aufgenommen, der die mutigsten und stärksten unter ihnen in den Schatten stellte. Doch was sie nicht wussten, dieser Mann war ein Verräter. Er hatte sich in ihren Kreis hineingeschlichen, um ihn von innen zu zerstören. Er säte Zwietracht, Neid und Misstrauen und raubte dem Bündnis seine Grundfeste. Als die Makaá das falsche Spiel durchschauten, war es schon zu spät. Das Bündnis zerbrach, die Mitglieder zerstreuten sich als hätte der Wind sie davon geweht und ganz Venezuela sprach vom Ende der großen Gemeinschaft. Niemand weiß, weshalb dieser junge Mann dies getan hat, keiner kennt seine Motive. Fakt ist: die unerschrockenen Krieger hörten plötzlich auf zu existieren. Lange hieß es, ein paar von ihnen hätten sich in den Untergrund zurückgezogen, und selbst heute noch meinen die Alten, hin und wieder einen von ihnen in ihren Träumen zu sehen und sind sich sicher, dass ihre
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