Der Fluch der Makaá
erstarrt, ebenso meine Mutter und die übrigen Personen im Bild. Es war zu spät. Ich war zu spät… Eine Hand legte sich auf meine Schulter, ich zuckte zusammen…
Tag 6 nach dem Absturz
D er Duft von Spiegeleiern stieg in meine Nase, als ich die Augen aufschlug. Gott sei Dank, es war nur ein Traum! Erleichtert atmete ich auf. Doch wo war ich? Der erste Blick fiel auf die Zimmerdecke direkt über mir. Sie war gewölbt und mit Holz verkleidet. Der zweite fiel in das Zimmer. Richtig, die Indianerhütte! Die Hütte war ein einziger offener Raum, mit Nischen für alles Mögliche. Hier, wo ich lag, war offensichtlich die Schlafstätte, gegenüber von mir war die Kochnische, in einem anderen Bereich war der Boden mit Bastmatten belegt und diente wahrscheinlich als Wohnzimmer. In der Mitte stand der große Holztisch, an dem wir am Vorabend gesessen hatten, und an dem nun meine Brüder ausgelassen über ihr Frühstück herfielen.
„Ihr seid schon wach?“, rief ich verwundert und rappelte mich auf. Irgendwie muss ich das Gleichgewicht verloren haben, denn ich fand mich urplötzlich auf dem Boden wieder. Missmutig blickte ich zum Bett und stellte erstaunt fest, dass es überhaupt kein Bett war, worin ich geschlafen hatte – es war eine Hängematte. Das erklärte das seltsame Schaukeln am Vorabend natürlich… Zwei weitere Hängematten waren zwischen den Pfosten aufgespannt, und weitere drei lehnten zusammengelegt an der Wand.
„Morgen, Mel!“ war die heitere Antwort meiner Brüder. „Toller Abgang! Wenn du noch Frühstück vor dem Mittagessen möchtest, musst du dich beeilen, wir haben nicht viel übrig gelassen.“
„Na schönen Dank auch“, murmelte ich und strich mir die Haare aus dem Gesicht. „Wo sind die Indianer?“
„No-oti und Mateo sind bei der Weisen Frau, und Paga-to, No-otis Mann, ist heute früh nach Kavac aufgebrochen. Er wird aber im Laufe des Vormittags zurückkommen.“
„Was ist Kavac? Und wer in aller Welt ist die Weise Frau?“, stutzte ich.
„Kavac ist neben Kamarata die größte Siedlung der Kamarakoto-Indianer“, erklärte Robert, als wäre er der Venezuelaspezialist schlechthin, und schob sich genüsslich ein Stück Spiegelei in den Mund. Er füllte seine Backentaschen wie eine Beutelratte und sprach mit vollem Mund weiter: „…Und die Weise Frau ist genau das, was ihr Name schon sagt: eine Weise Frau eben. Mateo meint, sie wisse einfach alles, und wenn jemand einen Rat bräuchte, dann würde er von ihr einen guten bekommen.“
Ich zog einen Stuhl heran und setzte mich an den Frühstückstisch. Ein Teller stand schon für mich bereit, und ich beeilte mich, etwas Ei und den Rest Brot darauf zu laden, bevor Oliver sich einen Nachschlag holen konnte. Mein kleiner Bruder sah putzmunter aus und schien sich offensichtlich sehr wohl zu fühlen. Seine Wangen schimmerten rosig und sein Haar glänzte wie Honig in dem staubigen Licht, das zu den Fensteröffnungen herein fiel. „No-oti verhätschelt ihn total!“, raunte mir Robert zu, als Oliver gerade nicht zuhörte, und rollte mit den Augen. No-oti war, wie ich es mir schon gedacht hatte, die freundliche Indianerfrau – Mateos Mutter. Es fiel mir nicht schwer, mir vorzustellen, dass sie einen Narren an meinem Bruder gefressen hatte. Jeder Mutter musste das Herz beim Anblick unseres kleinen Oliver höher schlagen, ganz gleich, ob es eine europäische war oder eine Indianerfrau.
„Gibt es hier eine Möglichkeit, sich zu waschen?“, fragte ich meine Brüder. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie andere T-Shirts trugen, und irgendwie sauberer waren, als ich mich im Moment fühlte. „Du kennst ja den Fluss“, sagte Oliver mit einem Ton in der Stimme, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan als sich in einem Fluss zu waschen.
„No-oti hat unsere Sachen gewaschen und sie zum Trocknen aufgehängt – siehst du?“ Robert wies aus dem Fenster zum Vorplatz, auf dem an einer langen Leine zahlreiche Wäschestücke im sanften Wind schaukelten, darunter auch die Kleidung meiner Brüder. „Wenn du dich umgezogen hast, wäscht No-oti deine Sachen bestimmt auch. Sie hat dir ebenfalls ein frisches T-Shirt hingelegt.“
„Wie nett von ihr!“, sagte ich überrascht. Aber waschen würde ich meine Sachen schon gerne allein. Auf keinen Fall wollte ich diesen netten Leuten das Gefühl geben, ihre Gastfreundschaft auszunutzen. Ich nahm einen Bissen von dem Spiegelei, griff nach dem frischen T-Shirt und lief mit den Worten „Ich geh dann
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