Der Fluch der Makaá
Seelen noch immer ruhelos über die Savanne ziehen und Vergeltung für das an ihnen begangene Unrecht fordern. Spätestens als die Weißen unser Land besiedelten und neue Bräuche und Sitten einführten, galt das Bündnis endgültig als zerbrochen, seine Mitglieder hatten sich in Luft aufgelöst. Ob sich die Indianer Venezuelas über das Verschwinden dieses Geheimbundes nun freuten, oder ob sie es bedauerten, ich weiß es nicht.“
Gebannt hatten meine Geschwister und ich der Geschichte gelauscht, mit offenem Mund und großen Augen. Wir ließen die Worte in uns nachklingen. Mateo hatte die wagemutigen, abtrünnigen Krieger vor unserem geistigen Auge wieder auferstehen lassen, und allein schon der Gedanke an ihre völlige Unerschrockenheit ließ mein Herz schneller schlagen. Doch so sehr mich die Geschichte auch faszinierte, eine Frage drängte sich mir auf. „Das ist eine fantastische Geschichte, Mateo“, durchbrach ich vorsichtig die Stille, „Aber was hat das mit unserem Symbol zu tun?“
„Alles“, erwiderte Mateo und fasste mich fest in seinen Blick. „Ich habe euch erzählt, dass kein Indianerstamm die Gemeinschaft rufen konnte, wenn er Hilfe benötigte.“
„Genau!“, fiel Oliver Mateo ins Wort und verschränkte die Arme vor der Brust. „Die Krieger kommen nur dann, wenn es ihnen selber passt.“
„Du hast sehr gut zugehört“, zwinkerte Mateo meinem kleinen Bruder zu. „Aber es gibt eine Ausnahme: Man kann… Entschuldigung: man konnte den Geheimbund aufsuchen. Es gab eine Möglichkeit, doch diese wurde selten genutzt. Der Weg erforderte Geschick, Mut und Entschlossenheit. Er war mit höllischen Gefahren verbunden. Erschwerend kam hinzu, dass nicht jeder den Weg finden konnte. Ohne den Ausgangspunkt war man verloren. Nun war es aber so, dass der Ausgangspunkt prinzipiell bekannt und markiert war. Trotzdem wagte sich kaum jemand auf diesen Weg, denn selbst den, den die Gefahr nicht abhielt, schreckte etwas anderes zurück.“
„Und was?“, fragte ich neugierig.
„Magie“, flüsterte Mateo mit weit aufgerissenen Augen. „Der Weg zu dem Geheimversteck ist mit einem Zauber belegt. Er ist eine Mischung aus weißer wie auch schwarzer Magie und kann sich gleichwohl als Segen wie auch als Fluch erweisen.“
„Was sagt der Zauber aus?“, fragte Robert atemlos. Mateo schloss seine Augen, bevor er antwortete, und ich bin mir ganz sicher, dass er die Worte, die er benutzte, vorher genauestens im Kopf durchgegangen war:
„Die Suche nach den geheimen Hallen
ist ein schwieriger Weg und erfordert Geschick.
Kann brechen dein Herz und zerstören dein Glück.
Ein schwarz-weißer Zauber liegt über dir und jedem,
der sich entschließt, diesen Weg zu gehen.
Besiegelt mit Blut, beschworen mit Mut,
wirksam gemacht durch höllische Glut,
dient er dem Schutze des Bundes
und kann fordern schlimmen Tribut:
Willst du uns finden, so prüfe dich weise,
Leichtsinn, Groll und Hass bringen Tod auf der Reise.
Wenn du uns suchst, dann wisse,
vom ersten Schritt und von erster Stund:
Du wirst durchschaut bis auf deines Herzens Grund.
Ist dein Herz rein, sind deine Motive vollkommen,
so heißen wir dich in unserer Mitte willkommen.
Sind sie es nicht, so wird dir dein Leben erschwert.
Anstelle des Segens, sei dir der Fluch der Makaá beschert.“
Mateo holte tief Luft und schloss für ein weiteres Mal die Augen. Als er sie öffnete, blickte er in unsere überraschten Gesichter. „Der Fluch der Makaá?“, wisperte ich. Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich das Wort aussprach, das mich trotz tropischer Temperaturen frösteln ließ. „Was bedeutet dieses Wort: Makaá?“
„So lautet der Name des Geheimbundes. Die Mitglieder hatten einen eigenen Indianerstamm gegründet: die Makaá“, erläuterte Mateo.
Robert rieb sich nachdenklich das Kinn. „Ich glaube, ich habe den Text nicht verstanden… Worin genau besteht die Gefahr, den Weg zu den geheimen Hallen einzuschlagen? Und was ist das für ein Segen und was für ein Fluch, von denen die Rede ist?“
Mateo schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. „Ich weiß es nicht. Zwar sind wir Indianer mit diesen Worten aufgewachsen, doch die wenigsten kennen ihre wahre Bedeutung. Seit Jahrhunderten werden diese Zeilen abends am Lagerfeuer gesungen. Sie sind uralt, Robert. Von Generation zu Generation wurden sie mündlich weitergereicht. Trotz allem wissen nur noch wenige Menschen den vollständigen Text. Von allen Strophen kenne ich nur diese
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