Der Fluch der Makaá
auch einmal eine Nacht auf diesem Fluss verbracht hatten: paddelnd, erschöpft, aber mit eisernem Willen. Zugegeben, so eisern war mein Wille jetzt gar nicht, aber ich versuchte, es mir solange einzureden, bis ich es schließlich glaubte.
Auf einmal weitete sich der Fluss vor uns und die Strömung wurde schneller. „Jetzt ist Vorsicht geboten!“, mahnte Mateo. Mit viel Kraft und noch mehr Geschick manövrierten wir das Boot in den Rio Carrao, in den unser Fluss jetzt mündete. Nach einigen turbulenten Momenten nahm uns der Fluss großzügig auf und gewährte uns eine relativ sichere und zügige Fahrt zwischen seinen Stromschnellen. „Siehst du den Stern dort vorne?“, fragte Mateo und deutete auf einen sehr hellen Stern, der eine Handbreit über der tiefschwarzen Linie, die ich als Horizont deutete, funkelte. „Das ist der Polarstern. Wir fahren nun genau nach Norden.“
Der Stern hob sich von allen anderen Sternen ab, und obwohl er so weit entfernt war, hatte sein Licht etwas Tröstliches an sich, etwas Vertrautes.
„Wie spät ist es?“ Ich stellte die Frage mehr aus Gewohnheit, denn Menschen wollen immer wissen, wie spät es ist, egal ob es ihnen jemand sagen kann oder nicht. Mir war wohl bewusst, dass niemand in unserem Boot eine Uhr besaß. Umso überraschter war ich, als Mateo mir wie aus der Pistole geschossen eine Antwort gab. „Es ist kurz vor halb vier.“
„Sag bloß du hast eine Uhr dabei?“
„Ich brauch doch keine Uhr, um zu wissen, wie spät es ist!“, lachte Mateo vergnügt. „Oder hast du schon mal einen Indianer mit einer Uhr gesehen?“
Ich schüttelte den Kopf und musste plötzlich auch lachen. „Nein, aber ehrlich gesagt habe ich vor dir auch noch nie einen Indianer gesehen! Ist es eigentlich noch sehr weit bis Canaima?“
„In etwa drei Stunden sind wir da. Wenn du magst, kannst du dich eine Weile ausruhen, das letzte Stück werde ich alleine paddeln. Du solltest deine Kraft sparen, wir wissen nicht, wofür du sie noch brauchen wirst.“
Dankbar nahm ich das Angebot an. Ich legte das Paddel quer übers Boot, gab mir große Mühe meine Brüder, die den Schlaf der Sorglosen schlummerten, nicht zu wecken und suchte eine bequeme Lage. Bevor ich diese richtig gefunden hatte, schlief ich bereits tief und fest.
Tag 7 nach dem Absturz
E s war ein sanfter Ruck, der mich wenig später weckte. Das Boot war auf Sand gelaufen und schob sich knirschend eine Uferböschung hoch. Vorsichtig blinzelte ich aus verschlafenen Augen. Der Himmel war von einem milchigen Grau, der Morgen musste soeben angebrochen sein. Schmale Wolkenfetzen zogen über dem Horizont auf, in froher Erwartung von der aufgehenden Sonne rot und orange gefärbt zu werden. Irgendjemand sprang dicht neben mir ins Wasser und ein paar kalte Tropfen landeten in meinem Gesicht. Taumelnd richtete ich mich auf und reckte meine verspannten Glieder. Der Nacken schmerzte von der unbequemen Haltung, in der ich geschlafen hatte, und auch, was die Vorahnung des Muskelkaters betraf, fühlte ich mich leider bestätigt.
„Na, ausgeschlafen?“, murmelte eine muntere Stimme direkt in mein Ohr. Es war Mateo, der bis zu den Knien im Fluss stand, und das Boot ans Ufer schob. Meine Brüder waren bereits an Land gegangen und zogen am hinteren Teil des Einbaums, bis er schließlich so weit aus dem Wasser ragte, dass die Strömung ihn nicht mehr mit sich reißen konnte.
„Ausgeschlafen fühlt sich anders an.“ Davon war ich überzeugt, als ich mir die Müdigkeit aus den Augen rieb.
„Mel, du Schlafmütze! Steh endlich auf!“, rief Oliver vom Strand aus und grinste von einem Ohr bis zum anderen.
„Schlafmütze? Schlafmütze! Na, das sagt der Richtige! Wer hat denn die ganze Nacht über hinter meinem Rücken geschnarcht?“
Mit einem Satz war ich an Land und lief schnurstracks auf Oliver zu. „Ich hab nicht geschnarcht!“, lachte mein kleiner Bruder vergnügt und wich ein paar Schritte zurück. Doch bevor er sich in Sicherheit bringen konnte, hatte ich ihn auch schon mit beiden Armen geschnappt und kitzelte ihn tüchtig durch, bis er um Gnade winselte. „Und ob du geschnarcht hast! Wie ein Sägewerk!“, beteuerte ich. „Stimmt’s?“ Hilfe suchend blickte ich mich nach Mateo und Robert um, die noch immer damit beschäftigt waren, das Boot an einem der dürren Bäume, die am sandigen Ufer standen, zu vertäuen. Eine Antwort bekam ich nicht. Für solche Kindereien hatten die beiden offensichtlich keine Zeit.
Etwas verlegen klopfte
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